Michael Ondaatje – Warlight/Kriegslicht

Michael Ondaatje Warlight Rezension Kriegslicht

Das Leben einer Mutter: Michael Ondaatjes neuestes Werk Warlight nimmt den Leser mit auf eine Reise ins London der Nachkriegszeit. Am Ende bleibt der Eindruck, dass hier trotz hohem Niveau mehr möglich gewesen wäre.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs werden Nathaniel und seine Schwester Rachel von ihren Eltern in London zurückgelassen. Sie bleiben in der Obhut des geheimnisvollen „The Moth“ und dessen Freunden, die, so vermuten die Geschwister, sich im kriminellen Milieu bewegen. In diesen Kreisen werden die beiden erwachsen und beschützt. Erst Jahre später versteht Nathaniel, was damals wirklich passiert ist. Er versucht, die vielen Puzzlestücke zusammensetzten und lernt die Wahrheit über seine Mutter.

Michael Ondaatje, Autor des erfolgreichen Romans Der englische Patient, beginnt sein neues Werk Warlight mit der Feststellung Nathaniels, dass seine Eltern sie 1945 verlassen haben und er mit seiner Schwester in der Gesellschaft von zwei Kriminellen in London zurückgeblieben ist. Kurz nach dem Krieg sind die Folgen überall sichtbar. Nathaniel ist irritiert über das Verhalten der Eltern, die ihm kaum Informationen geben und von heute auf morgen aus seinem Leben verschwunden sind. Noch misstrauischer werden die Geschwister, als sie den gepackten Koffer der Mutter im Haus entdecken. Der geheimnisvolle Mann, den alle nur „The Moth“ (in der deutschen Übersetzung wohl als „Falter“ bezeichnet) nennen und dessen Freund „The Darter“ werden zu neuen Vaterfiguren für Nathaniel, der das Verschwinden seiner Eltern deutlich besser verarbeitet als seine Schwester Rachel. Nathaniel bekommt Jobs über die Kontakte von „The Moth“ und hilft „The Darter“ bei dessen Schmugglertätigkeiten. Dazwischen tauchen auch immer wieder andere Freunde auf, die bei Nathaniel bleibenden Eindruck hinterlassen, er hat aber stets das Gefühl, immer nur eine Fassade zu erblicken, aber nicht den wahren Hintergrund der Männer und Frauen ergründen zu können.

But what had we become? When you are uncertain about which way to go as youth, you end up sometimes not so much repressed, as might be expected, but illegal, you find yourself easily invisible, unrecognised in the world.

Dieser erste Teil des Buches ist fast eine Art Coming-of-Age-Geschichte. Nathaniel wächst auf, lernt ein Mädchen kennen, macht sich Gedanken über sein Leben und wird von „The Darter“ in eine Untergrund- und Schattenwelt eingeführt, die in fasziniert und anzieht. Dabei fehlen ihm allerdings wirkliche Vorbilder, denn über die beiden Kriminellen weiß er nur wenig, trotz des gemeinsamen Alltags. Die Bezüge zu den Kriegsfolgen sind dabei überall sichtbar. Der Fokus liegt dabei auf Nathaniel, der als Ich-Erzähler fungiert, wodurch Rachels Perspektive nur in seiner Erzählung wiedergegeben wird. Denn im Gegensatz zu ihrem Bruder kann sie den Eltern nicht verzeihen, sie alleine gelassen zu haben.

Mahler put the word schwer beside certain passages in his musical scores. Meaning “difficult.” “Heavy.” We were told this at some point by The Moth, as if it was a warning. He said we needed to prepare for such moments in order to deal with them efficiently, in case we suddenly had to take control of our wits. Those times exist for all of us, he kept saying. Just as no score relies on only one pitch or level of effort from musicians in the orchestra. Sometimes it relies on silence. It was a strange warning to be given, to accept that nothing was safe anymore.

Der Bruch zum zweiten Teil des Romans ist stark. Nathaniel, der sein Leben im Rückblick erzählt, muss feststellen, dass nicht er der Mittelpunkt seiner Geschichte ist, sondern seine Mutter. Nathaniel, mittlerweile im Alter von 28 Jahren, erkennt, dass alles was ihm widerfahren ist, dem Einfluss seiner Mutter unterliegt. Sein Ziel ist es, die Geschichte ihres Lebens zu erfahren. So setzt er nach und nach ihr Leben als Spionin in der Nachkriegszeit zusammen. Erst hier wird auch Vieles aus dem ersten Teil in seiner vollen Bedeutung aufgelöst. Dabei stößt Nathaniel auf Konflikte, die nach dem Ende der Kämpfe immer weiter geführt wurden und wird mit den moralisch fragwürdigen Aktivitäten seiner Mutter konfrontiert. Der Frau, die ihn 14-jährig zu Hause zurückgelassen hat.

In Warlight stehen die mysteriösen Seiten der Geschichte im Vordergrund. Nathaniel erzählt den ersten Teil zwar chronologisch, aber nur in Bruchstücken, kurzen Bildern, die aneinandergereiht sind. Das eine Mal nimmt er uns mit auf die Themse, wo er „The Darter“ hilft, das andere Mal ist er mit dem Mädchen Agnes alleine in einem leerstehenden Haus. Vieles bleibt er eher im Vagen und wird nur angedeutet. Genauso verhält es sich im zweiten Teil, nur sind es hier die kleinen Bildausschnitte aus dem Leben von Nathaniels Mutter. Die Erinnerung wird zur einer Abfolge von Bildern, auf die der Leser einen Blick werfen darf. Dabei sind diese Erinnerungen von Ondaatje poetisch und abwechslungsreich gestaltet. Gleichzeitig sind manche Sprachbilder bei genauerer Betrachtung aber auch seltsam. „The Moth“ wird so genannt, da er “moth-like in his shy movements” sei. Was zunächst schön klingt, ist allerdings nur schwer vorstellbar. Ein anderes Problem ist die häufige Benutzung von Begriffen wie „magical“, wodurch der Eindruck entsteht, dass Ondaatje etwas zu gezwungen eine mysteriöse Atmosphäre aufbauen will. Hier wäre weniger vielleicht mehr gewesen. Die Kritik am sprachlichen Stil ist allerdings auf hohem Niveau, dennoch bleibt das Gefühl, dass es eben noch besser hätte sein können.

We never know more than the surface of any relationship after a certain stage, just as those layers of chalk, built from the efforts of infinitesimal creatures, work in almost limitless time. […] As for the story of my mother and her husband, that ghost in her story, I have only the image of him sitting in that uncomfortable iron chair in our garden, lying about why he was leaving us.

Die Konstruktion der Geschichte ist dagegen absolut gelungen, jede der eingeführten Figuren hat ihren Platz in der Geschichte und ist nicht zufällig aufgetaucht. Auch wenn es im ersten Teil manchmal so wirken mag. Vieles führt dabei zu weiteren Fragen. Gerade wenn es um die Aktivitäten der Mutter geht, werden moralische Fragen angesprochen, die weit über die Anfangsfragen nach der Familie hinausführen. Kategorien wie gut oder böse, richtig oder falsch greifen hier nicht mehr. Diese Aspekte hätten gerne auch noch weiter vertieft werden können.

Michael Ondaatjes Roman Warlight entführt den Leser in die Geschichte von Nathaniel, der auf der Suche nach der Wahrheit über seine Mutter ist. Was als Coming-of-Age-Handlung beginnt, entwickelt sich immer mehr zu einer Geschichte über die Verwicklungen nach dem zweiten Weltkrieg. Der Autor ist dabei um eine mysteriöse Atmosphäre bemüht, was stilistisch nicht immer aufgeht. Insgesamt bleibt der Eindruck, einen guten Roman gelesen zu haben, bei dem aber auch (noch) mehr drin gewesen wäre.

Die deutsche Übersetzung erscheint unter dem Titel Kriegslicht am 20. August im Hanser Verlag.

3 comments

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  1. Isabel Kocsis

    Im zweiten Teil nutzt der Autor die historisch umstrittenen Foibe Massaker um die zwielichtige Verstrickung der Mutter in Schuld anzudeuten. Bei dieser Andeutung bleibt es, der Roman wächst nicht über die persönliche Erzählperspektive von Mutter und Sohn hinaus. Ondaatje scheitert aber damit an der überpersönlichen Bedeutung seines gewählten Themas.

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