Thomas Glavinic – Das bin doch ich

Rezension Thomas Glavinic Das bin doch ich

Thomas Glavinic schrieb in seinem 2007 erschienenen Roman Das bin doch ich über den fiktiven Autor Thomas Glavinic. Ein kunstvoll konstruiertes Werk, das es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises schaffte.

Thomas Glavinic, österreichischer Autor, ansässig in Wien, hat gerade seinen Roman Die Arbeit der Nacht beendet und wartet minütlich auf eine Meldung seiner Agentin, dass sie einen Verlag für ihn gefunden habe. Dummerweise ist da auch noch sein bester Freund, Daniel Kehlmann, dessen Buch Die Vermessung der Welt momentan ziemlich durch die Decke geht. Wie sieht also so ein Schriftstelleralltag aus, zwischen Warten und Verzweiflung, zwischen der Suche nach Anerkennung und dem ständigen Vergleich mit seinem erfolgreichen Freund, zwischen Hypochondrie und Gelegenheitsalkoholismus?

Thomas Glavinic schreibt über sich selbst – ODER? Es steht zwar Roman drauf, aber allein die Tatsache, dass sein Protagonist und Erzähler denselben Namen trägt, deutet laut Literaturwissenschaftler Frank Zipfel darauf hin, dass hier eine Form von Autofiktion vorliegt: also ein Text, der sich zwischen Biografie und Fiktion bewegt, Elemente aus beiden Genres miteinander verknüpft und somit nicht eindeutig vom Leser aufgefasst werden kann. Man solle nicht immer alles autobiografisch nehmen, ärgerte sich Glavinic bei seiner Lesung auf der Wuppertaler Literatur Biennale, aber man kommt als Leser doch irgendwie nicht völlig drumherum, sich von den Begriffen „Roman“ und „Fiktion“ zu lösen.

Sind die Szenen, die wir im Roman vorfinden, in der Realität genau so oder sehr ähnlich passiert? Oder doch nicht? Das weiß vermutlich nur Glavinic selbst – und er spielt gekonnt damit, die anderen der Verwirrung zu überlassen. Ob Wahrheit oder nicht, Glavinic inszeniert sich hier auf alle Fälle als Autor, konstruiert sich eine Identität, die seine eigene widerspiegeln kann, aber noch lange nicht muss. Er macht aus sich selbst eine Kunstfigur.

So oder so schafft es Glavinic, mit seinem „langweiligen Schriftstelleralltag“ wahnsinnig gut zu unterhalten. Schon allein die ersten Seiten können seinen potenziellen Lesern verraten, ob das Buch zu ihnen passt oder nicht, wenn Glavinic davon erzählt, dass er seine Hoden nie ansieht, weil geschwollene Kronjuwelen Hodenkrebs bedeuten könnten. Es passiert eigentlich nicht viel, aber es wird wunderbar böse erzählt, zynisch, voller Selbstmitleid und -verachtung. Glavinic zieht sich selbst durch den Dreck, er zieht blank und eröffnet seiner Leserschaft die Zweifel und Ängste, die einen mittelmäßig erfolgreichen Autoren quälen können.

„WAS BRAUCHT DER DENN NOCH EINEN PREIS? Wie viele Bücher hat der denn schon verkauft?“
„Über 130.000. Aber…“
„HUNDERTDREISSIGTAUSEND? Hat der nicht schon genug verdient mit seinem Buch? WANN SCHREIBST DENN DU MAL SO WAS?“

Sympathisch kommt die Figur Thomas Glavinic in Das bin doch ich nicht wirklich rüber. Er ist ein Macho, er ist völlig auf sich selbst fixiert und verbringt kaum Zeit mit seiner Frau und seinem Kind. Er trinkt, ständig und viel zu viel, und überschätzt sich selbst maßlos. Man kann es nicht anders sagen, aber er ist ein ziemliches Arschloch. Trotzdem funktioniert das alles ganz wunderbar in diesem Roman. Die Figur des Thomas Glavinic übt eine seltsame Faszination auf mich aus – nicht zuletzt vermutlich auch, weil sie mich so exzellent unterhalten kann. Es ist schön, ihm beim Scheitern zuzuschauen, es tut irgendwie gut, zu sehen, wie der von sich selbst völlig eingenommene Mann selbst bei einer Sechzigjährigen abblitzt und mit seinem furchtbar anstrengenden Schwiegervater im Sessellift feststeckt. Glavinic, der Ich-Erzähler, ist ein Hypochonder, hat täglich neue Wehwehchen, und ist eigentlich auch ein ziemlicher Misanthrop. Viel schlechter als in diesem Roman könnte sich ein Autor also vermutlich nicht selbst darstellen.

Wieso finden mich die Gestörten und Verrückten? Ich habe nicht das Gefühl, wirklich zu ihnen zu gehören. Ich will nicht zu ihnen gehören. Ich will ans Licht, immer schon, aber es dauert ziemlich lang.

Auch wenn Glavinic vor allem sich selbst durch den Kakao zieht, bleibt ein gewisser schaler Beigeschmack, was den Literaturbetrieb betrifft. Während Kehlmanns Roman anfangs noch als Meisterwerk gelobt wird, spricht es derselbe Kritiker mehrere tausend Verkaufsexemplare später als irrelevant ab. Glavinics Suche nach einem Verlag wird wunderbar verzweifelt geschildert, wenn unser Protagonist alle zehn Minuten sein E-Mail-Postfach auf Neuigkeiten überprüft. Die Personen aus Literatur und Kultur, die in diesem Roman vorkommen, existieren alle in der Realität. Ob sie wirklich genau so sind, wie sie dargestellt werden und ob es all diese Ereignisse gab, wissen wohl nur sie selbst und Thomas Glavinic. Vielleicht sind sie ja ganz anders als in dem Paralleluniversum unserer Wirklichkeit, als das sich Das bin doch ich entpuppt.

Das bin doch ich von Thomas Glavinic ist ein kurzer, auch kurzweiliger, aber dennoch beeindruckender Roman. Er nimmt nicht nur den Literaturbetrieb aufs Korn und unterhält wahnsinnig gut, sondern wurde zudem noch geschickt konstruiert. Gekonnt lässt Glavinic die Grenze Zwischen Fiktion und Realität verschmelzen, seine Leser im Dunkeln tappen. Ein Buch, das irre viel Spaß macht.

5 comments

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  1. andrea

    Ich habe Thomas Glavinic vor einem Jahr bei einer Lesung zu „Der Jonas-Komplex“ erlebt und dort wirkte er so, wie er sich in „Das bin doch ich“ beschreibt. Es war wirklich großartig! Während der Lesung hat er zwei Flaschen Wein getrunken und sehr trocken die Moderatorin korrigiert, die sich ein wenig als Fangirl outete, aber im Nachhinein offenbar doch nicht viel wusste, wie sie behauptete.
    Seitdem ist Glavinic einer meiner Lieblingsautoren. Ich habe zuletzt „Der Kameramörder“ gelesen, allerdings noch nicht zensiert, fand ebenfalls großartig!

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    • letusreadsomebooks

      Echt? Bei mir war er das ziemliche Gegenteil, trank nur Wasser, wirkte chaotisch und etwas verpeilt (sagte er dann auch selbst), aber trotzdem sehr sympathisch. Ich hätte mir fast ein bisschen mehr Attitüde gewünscht, so wie ich ihn aus dem Fernsehen kenne oder wie er sich eben im Buch beschreibt und du ihn vermutlich erleben konntest. Vielleicht habe ich ihn an einem netten Abend erwischt. ;) Trotzdem bleibt er für mich ein sehr interessanter Autor, auch menschlich, da ich ihn nach wie vor überhaupt nicht einschätzen kann – das macht ihn spannend.

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  2. andrea

    Das oben in meinem Kommentar muss natürlich „rezensiert“ heißen. :D

    Ja, wir haben uns auch gedacht, mit dem könnte man mal einen Abend verbringen und quatschen, das wäre sicher sehr interessant. Da wir nur dieses zwei Stichproben haben, müssten wir also noch mehr Daten sammeln. :)
    Leider ist er wohl in nächster Zeit nicht unterwegs…

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