Reni Eddo-Lodges Sachbuch Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche ist eine informative, essentielle Lektüre über Race und Rassismus.
To be white is to be human; to be white is universal. I only know this because I am not.
Der zunächst sehr provokativ anmutende Titel des Buchs ist angelehnt an ihren gleichnamigen Blogbeitrag aus dem Jahr 2014, welcher hier im Vorwort auch zitiert wird. Dort erklärt die britische Journalistin, dass sie nicht alle weißen Leute meine, sondern nur diejenigen, die sich vehement weigern, strukturellen Rassismus anzuerkennen, völlig abblocken und ihre Privilegien nicht wahrhaben möchten. Diese Leute, von denen es laut Eddo-Lodge leider viel zu viele gibt, fühlen sich durch Konversationen über Race ironischerweise angegriffen, verteidigen sich, versuchen, Fakten zu widerlegen und sich die Diskussionen anzueignen, statt Empathie zu zeigen, zuzuhören, zu lernen und zu verstehen.
Nach einer Abhandlung über die Geschichte von Sklaverei und Rassismus in Großbritannien präsentiert die Londoner Autorin die aktuelle Lage, bevor sie auf Privilegien, die Angst vor einem „schwarzen Planeten“, Feminismus und Klassismus zu sprechen kommt. Es ist ein Buch über Vorurteile und Stigmata, über offene Diskriminierung und rassistische Angriffe, über Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Es geht um schwarze Kinder, die durchschnittlich viel später adoptiert werden als weiße, um Jobs, die nach Hautfarbe vergeben werden, um schlechtere Benotungen für Schüler, die gute Arbeit leisten, aber eben nicht weiß sind, um Unterrepräsentation in den Medien (siehe hierfür z.B. auch Roxane Gays Bad Feminist), aber auch um weiße Menschen, die es „gut meinen“, mit ihren Aussagen und Handlungen aber das genaue Gegenteil erreichen, oder mit ihrer Einstellung „Für mich sind wir alle gleich. Ich sehe keine Hautfarbe“ letztendlich mehr Schaden anrichten, als PoC zu unterstützen.
We tell ourselves that good people can’t be racist. We seem to think that true racism only exists in the hearts of evil people. We tell ourselves that racism is about moral values, when instead it is about the survival strategy of a systemic power.
Eddo-Lodge zeigt, dass Rassismus längst kein Problem mehr der rechtsradikalen Szene ist – und es eigentlich auch nie war. Manche Strukturen und Denkmuster, die heute noch in Großbritannien, aber auch bei uns in Deutschland und woanders auf der Welt, herrschen, sind Jahrhunderte alt und so sehr in unseren Köpfen verankert, dass wir sie selbst nicht oft gar nicht wahrnehmen. Die meisten Menschen haben internalisierte Vorurteile, die durch den Einfluss von Erziehung, Sozialisation und Medien entstanden sind, auch wenn sie nicht unbedingt böse Absichten haben.
Einen großen Stellenwert nimmt in diesem Buch das Thema White Privilege ein. Es ist bemerkenswert, wie viele weiße Menschen sich hartnäckig weigern, ihre Privilegien anzuerkennen. Es sollte doch eigentlich klar sein, dass ich als weiße, able, heterosexuelle cis-Frau ganz andere Chancen habe als andere Menschen, dass ich anders wahrgenommen und behandelt werde. Für Männer gilt dies umso mehr. Ich verstehe nicht, wie es sein kann, dass man es selbst nicht sehen kann – oder will. Über Eddo-Lodges Erfahrungen mit Leuten zu lesen, welche ihre Privilegien abstreiten und null Empathie aber einhundert Prozent Ignoranz an den Tag legen, macht ganz schön wütend. Den Frust der Autorin, die täglich solchen Menschen und Situationen ausgesetzt ist, kann ich also nur ansatzweise erahnen.
The white feminist distaste for intersectionality quickly evolved into a hatred of the idea of white privilege – perhaps because to recognise structural racism would have to mean recognising their own whiteness.
Ebenfalls spannend und erschütternd zugleich ist das Kapitel über Race und Feminismus. Wo Feminismus doch eigentlich bedeutet, gleiche Chancen und Rechte für alle Personen einzufordern, ganz gleich, welchen Geschlechts, welcher Ethnie, sexuellen Orientierung, Klasse oder Religion, ist es mehr als nur verwunderlich, wie sich Feminist*innen wirklich gegen Intersektionalität (Mehrfachdiskriminierung) aussprechen können. Wenn Eddo-Lodge schreibt, dass die Partizipation schwarzer Feministinnen am Dialog ähnliche Reaktionen hervorrief wie die, die der Feminismus von sexistischen Männern ertragen muss, ist das mehr als nur traurig. Hier kommt auch oft – wieder einmal – der Stereotyp der Angry Black Woman ins Spiel: der weiße Feminismus ist „friedlich, still und höflich“ – bis Women of Color sich auf ihre „laute, aggressive Art einmischen“ und – oh Wunder – eben auch für sich selbst Rechte einfordern. Interessant und wichtig finde ich hier auch Eddo-Lodges Standpunkt, dass Feminismus nicht nur für Gleichheit stehen sollte, denn niemand sollte einfach nur in das jetzige System und die aktuellen Strukturen integriert werden, sondern dass Feminismus eigentlich einen Umsturz und ein völliges Neudenken des Systems bedeuten müsste.
Zwischen persönlichen Erfahrungen und historischen wie gesellschaftlichen Fakten bewegt sich die britische Autorin Reni Eddo-Lodge in ihrem Sachbuch Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche (Originaltitel: Why I’m no Longer Talking To White People About Race). Es ist informativ, anspruchsvoll aber zugleich gut lesbar und verständlich, und es trägt wesentlich dazu bei, das eigene Denken zu hinterfragen, sowie rassistische Strukturen bei sich selbst, im engeren Umfeld und in der Gesellschaft festzustellen und dementsprechend zu handeln.
Eine ähnliche Lektüre, die sich explizit mit Rassismus in Deutschland beschäftigt, ist Alice Hasters Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten.
[…] Reni Eddo-Lodge – Warum ich nicht länger mit weißen Menschen über Hautfarbe spreche […]
LikeLike