Hallo Winter, hallo Gemütlichkeit!
Jetzt, wo die Weihnachtsferien vor der Tür stehen und endlich ein paar freie Tage auf uns alle warten, ist endlich wieder mehr Zeit zum Lesen vorhanden. Auch wenn es schön ist, es sich mit einem dicken Schmöker auf dem Sofa bequem zu machen, geht doch nichts über das Gefühl, ein Buch in einem Ruck durchzulesen. Wir stellen euch im Folgenden sechs Bücher vor, die sowohl kurz als auch mitreißend genug sind, um sie an einem einzigen Tag zu verschlingen.
Carlos Fuentes – Aura
Du liest eine Annonce in der Zeitung : ein junger Historiker wird für eine Schreibtätigkeit gesucht, das Zimmer wird gestellt. Doch die Wohnung, die du betrittst, ist völlig dunkel, und die alte Frau, die deine Auftraggeberin ist, bekommst du zunächst nicht zu Gesicht. Dafür aber ihre wunderschöne Nichte Aura: „Endlich wirst du diese meergrünen Augen sehen, wie sie fluten, zu Gischt zerstäuben, wieder zu einem ruhigem Grün werden, um sich darauf von neuem wie eine Welle zu entflammen.“
Hinter dem zunächst erotisch anmutenden Cover von Aura verbirgt sich eine Schauergeschichte der alten Schule über Jugend, Tod und Begierde, geschrieben in der Du-Perspektive und verpackt in eine poetische Sprache, die schnell einen unheimlichen Sog entwickelt. Atmosphärisch erinnert das kurze Buch an Edgar Allan Poe, Gabriel García Marquez und Carlos Ruiz Zafón, und hat mir vermutlich deshalb auch so gut gefallen.
Mark Z. Danielewski – Das Fünfzig-Jahr-Schwert
Während einer Halloween-Geburtstagsfeier trifft die Näherin Chintana auf ihre Rivalin Belinda. Voller Entsetzen muss Chintana feststellen, dass ausgerechnet Belinda das Geburtstagskind des Abends ist. Gleichzeitig trifft ein Geschichtenerzähler ein, der die fünf Waisenkinder, Tarff, Ezade, Inieda, Sithis und Micit unterhalten soll. Ausgestattet mit einem dunklen Umhang und einem dunklen Kasten schildert der charismatische Mann seine Geschichte. In dem Kasten befindet sich eine ungewöhnliche Waffe, die er unter besonderen Umständen erlangt hat. Doch seine Erzählung, die davon berichtet, wie er das Fünfzig-Jahr-Schwert fand, ruft ganz unterschiedliche Reaktionen hervor und so nimmt der Abend einen dunklen Verlauf…
Für mich ist Danielweskis Experiment Das Fünfzig-Jahr-Schwert geglückt. Es ist kunstvoll gestaltet, nimmt sich alle Freiheiten und fordert heraus. Ich glaube, dass das Buch auf jeden Leser eine andere Wirkung ausüben kann. Man sollte sich nur vorher von Konventionen und Regeln hinsichtlich der Textgestaltung verabschieden, denn sonst wird wohl kaum etwas anderes als Frust entstehen. Für mich war es eine wunderbare Leseerfahrung, die mir gezeigt hat, was abseits des Üblichen mit Romanen möglich sein kann. Ich hoffe, dass noch viele weitere Leser diese Erfahrung erleben und teilen können.
Michael Köhlmeier – Sunrise
Der Hollywood-Boulevard in Los Angeles während des Sonnenaufgangs: Der Obdachlose Leo Pomerantz will die Fahrbahn überqueren, die Tänzerin Rita Luna verlässt ein Stripteaselokal, während auf der anderen Straßenseite der Tod steht. Sein Ziel ist Leo, doch die vom Tod geworfene Sichel verfehlt ihn und trifft stattdessen Rita. Die empfindet ihren plötzlichen Tod als ungerecht und will sich damit nicht abfinden, weshalb sie den Tod um eine zweite Chance bittet. Dieser ordnet einen Wettbewerb an. Rita und Leo haben jeweils 30 Minuten Zeit, um ihn davon zu überzeugen, dass ihr letzter Tag noch nicht gekommen ist.
Mit seinen knapp 95 Seiten ist Sunrise ein dünnes Buch, das aber nichtsdestotrotz tiefgehende Fragen und Gedanken aufwirft. Gerade durch die ironische Wahl des Settings und den Ton der Figuren ist das Lesen absolut kurzweilig und amüsant, aber gleichzeitig auch spannend. Richard macht den Leser ebenso zum Zuhörer wie den eigentlichen Erzähler. Eine mehr als lesenswerte Novelle.
Roberto Bolaño – Amuleto
Auxilio Lacouture wurde in Uruguay geboren, zog es aber nach Mexiko Stadt, wo sie im Jahr 1968 dreizehn Tage lang auf der Damentoilette im vierten Stock der Universität gefangen ist, während draußen die Armee Studenten festnimmt und tötet. Von dort aus spinnt sich ein Netz an Erinnerungen an die Vergangenheit und auch an die Zukunft, Diskussionen mit den jungen, aufstrebenden Dichtern, Nächte in heruntergekommenen Bars als Mutter der mexikanischen Poesie sowie Begegnungen mit einer Geliebten Che Guevaras und dem Stricherkönig von Guerrero.
Bolaño schreibt hastig, ja fast atemlos mit einer hypnotische Prosa von verstörender Schönheit. Amuleto ist ein sprachlich intensives und mitreißendes Buch und ein intertextueller Spaß für all diejenigen, die schon mit anderen Werken Bolaños vertraut sind – aber ebenso das schreckliche Zeugnis eines von Gewalt geplagten Lateinamerikas.
Walter Moers – Wilde Reise durch die Nacht
Der zwöfljährige Gustave gerät mit seiner Crew der Aventure auf dem Ozean zwischen zwei gefährliche siamesische Zwillingstornados und stirbt. Zumindest fast. Denn plötzlich steht der Tod höchstpersönlich an Deck, im Schlepptau seine verrückte Schwester Dementia, und bietet Gustave einen mehr oder weniger fairen Deal an: er soll sechs Aufgaben lösen, um seine Seele und sein Leben zu retten. Und so macht sich der Junge auf, sein Abenteuer zu bestreiten, das ihn innerhalb einer Nacht auf die Insel der gepeinigten Jungfrauen, quer durch das Universum und die Zeit bis schließlich auf den Mond führen soll, wo der Tod und Dementia ihn in ihrem Haus am Mare Tranquillitatis erwarten.
Walter Moers 2001 erschienener Roman Wilde Reise durch die Nacht ist genau das: ein wildes, kurzes Vergnügen, das seine Leser vollkommen mitreißt. Humorvoll, böse aber auch stellenweise durchaus ernst erzählt der Autor vom höchst unwahrscheinlichen Leben des realen Künstlers Gustave Doré – es ist eine wundervolle Hommage an ebendiesen, an das Fabulieren und an die Phantasie; rasant, packend und völlig absurd bis zur allerletzten Seite.
Emma Glass – Peach
Die Novelle folgt der Jugendlichen Peach, die mit den unmittelbaren physischen, psychischen und emotionalen Auswirkungen einer Vergewaltigung zu kämpfen hat. Triggerwarnung: Vergewaltigung, Mord, Tierquälerei, Kannibalismus, Selbstverletzung, Stalking, explizite und grafische Darstellung von Gewalt. So schockierend die Themen sind, so faszinierend ist die Sprache. Peach erzählt in einem einzigen Bewusstseinsstrom und experimenteller Prosa, die manchmal schon an Lyrik erinnert, voller Sprachspiele und Symbolik davon, wie sie versucht, alleine mit dem Geschehenen zurechtzukommen.
Sprachlich fand ich das Buch unglaublich ansprechend, inhaltlich ist bewusst vieles unklar gehalten: wie viel davon ist Realität, wie viel Symbolik und wie viel Traum, Halluzination? Es bleibt viel Interpretationsspielraum, was für jeden Leser vermutlich unterschiedlich positiv oder negativ ist. Ein wirklich mutiges und gelungenes Erstlingswerk, über das es nach der Lektüre auch noch viel nachzudenken gibt.
Wer noch mehr Inspiration sucht, findet hier acht weitere kurze Bücher für einen gemütlichen Tag auf dem Sofa.
[…] 6 kurze Bücher für einen gemütlichen Lesetag — Letusredsomebooks […]
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Oh, danke für die tollen Tipps! Die ersten beiden Bücher muss ich mir doch mal zu Gemüte führen. Peach habe ich dieses Jahr gelesen und war begeistert vom Schreibstil, der mich sehr an Max Porter erinnert hat.
Viele liebe Grüße
Tina
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