Für die einen schreibt er nur Belanglosigkeiten, für die anderen ist er einer der besten Schriftsteller seiner Generation: Karl Ove Knausgård polarisiert sowohl Leser als auch Kritiker.
Jedem, der sich für Literatur interessiert, wird dieser Name in den letzten Jahren auf die eine oder andere Weise begegnet sein: Karl Ove Knausgård. Der momentan wohl wichtigste Autor Norwegens hat durch sein sechsbändiges Projekt Min Kamp (wörtlich übersetzt: Mein Kampf) für viel Aufsehen gesorgt. Der Romanzyklus ist autobiographisch angelegt. Auf mehreren tausend Seiten breitet Knausgård sein Leben völlig offen vor dem Leser aus.
Mir kommen die Tränen, wenn ich ein schönes Gemälde sehe, jedoch nicht, wenn ich meine Kinder sehe. Das heißt nicht, dass ich sie nicht liebe, denn das tue ich, von ganzem Herzen, es bedeutet nur, dass der Sinn den sie schenken, kein Leben ausfüllen kann. Jedenfalls nicht meins.
Jeder der sechs Bände widmet sich einem anderen Schwerpunkt, so geht es um die Beziehung zu seiner Frau und seinen Kindern, im ersten Band um das Verhältnis zu seinem Vater, um seine eigene Kindheit und um weitere Themenkomplexe. Ein immer wiederkehrender Aspekt ist auch sein Umgang mit Alkohol. Letztlich habe ich den Eindruck, es hier mit einem Schriftsteller zu tun zu haben, der radikal auf der Suche nach Sinn ist. Nach seinem Lebenssinn.
Ich habe mittlerweile die ersten vier Bände Sterben, Lieben, Spielen und Leben gelesen und so viel schon mal vorweg, die beiden noch fehlenden Romane werde ich mit Sicherheit auch noch in Angriff nehmen. Selten hatte ich bei Büchern so sehr das Bedürfnis sie in die Ecke zu pfeffern und gleichzeitig das Gefühl, ich kann sie überhaupt nicht aus der Hand legen und werde dabei immer mehr in einen Sog gezogen, dem ich mich nicht entziehen kann. Eines der häufigsten negativen Urteile lautet, dass Knausgård zu detailliert schreibt und jede (unwichtige) Einzelheit unnötig ausufernd schildert, wodurch die Romane langweilig werden. Und ja, auch mich hat es aufgeregt, wieder mal über gefühlte zehn Seiten zu lesen, wie er sich Kaffee/Tee kocht um dann die Wand anzustarren. Auf der Gegenseite finden sich aber ebenso Passagen, die über die Ich-Bezogenheit hinausgehen und auf eine sowohl exemplarische als auch mitreißende Ebene gelangen, für die Knausgårds Leser ihn so bewundern.
Wenn ich mit anderen zusammen war, fühlte ich mich ihnen verbunden, die Nähe zu ihnen war unerhört, ich lebte mich so sehr in sie hinein. Ja, so sehr, dass mir ihr Wohlbefinden stets wichtiger war als meins. Ich ordnete mich ihnen fast bis an den Rand der Selbstaufgabe unter; was sie meinen oder denken mochten, hatte ausgehend von einer für mich nicht kontrollierbaren inneren Mechanik Vorrang vor meinen eigenen Gedanken und Gefühlen. Sobald ich allein war, verloren andere Menschen jedoch jegliche Bedeutung für mich.
Die Art wie sich Knausgård vor seinen Lesern präsentiert und auch entblößt, zeigt ihn in vielen verschiedenen Lebenssituationen und häufig kommt er dabei selbst alles andere als positiv rüber. Sein Verhalten gegenüber seiner Frau Linda und den Kindern ist an mehr als einer Stelle fragwürdig. Er hadert mit sich und der Welt, dabei entsteht das Bild eines Mannes, der sich seiner Egozentrik durchaus sehr bewusst ist, dabei ebenso introvertiert wie abweisend wirkt. Kein Mensch, mit dem ich als Leser gerne einen Tag verbringen würde. Mindestens genauso nervig ist sein immer wiederkehrendes Selbstmitleid, sein Gefühl von anderen nicht verstanden zu werden, weshalb er sich allein fühlt. Ganz eindeutig habe ich hier den Eindruck, dass das Schreiben auch die Funktion einer Selbsttherapie erfüllen soll.
Man weiß zu wenig, und es existiert nicht. Man weiß zu viel, und es existiert nicht. Schreiben heißt, das Existierende aus den Schatten dessen zu ziehen, was wir wissen. Darum geht es beim Schreiben. Nicht, was dort geschieht, nicht, welche Dinge sich dort ereignen, sondern es geht um das Dort an sich.
Allerdings sollte man nicht den Fehler machen, Knausgårds Werke nur auf den vielleicht autobiographischen Anteil zu reduzieren. Es finden sich zahlreiche Verweise auf popkulturelle Phänomene (vor allem aus den Bereichen Musik, Literatur und Film), Reflexionen über den eigenen Schreibprozess, philosophisch angelegte Überlegungen und an einigen Stellen auch wunderbare Landschaftsbeschreibungen.
Außerdem sollte bei aller Kritik ebenso nicht vergessen werden, dass Knausgård vor diesem Projekt bereits zwei Romane veröffentlicht hat und auch seine autobiographischen Werke im Paratext als eben solche bezeichnet werden. Auch wenn Knausgård sich von der Fiktion befreien will und alles was er schreibt, der Wahrheit entspricht, kann man sich dennoch nicht sicher sein, dass es zu einhundert Prozent keine Fiktion ist.
Ich wurde immer verschlossener, und je verschlossener ich wurde, desto mehr schlug sie zu. Und je mehr sie schlug, desto sensibler reagierte ich auf ihre Gefühlsschwankungen. Wie ein Meteorologe des Gemüts begleitete ich sie, weniger mit dem Bewusstsein, eher mit den Gefühlen, die ihr beinahe schaurig feinfühlig in die unterschiedlichen Stimmungen folgten. War sie wütend, war diese Präsenz alles, was es in mir gab.
Wer von euch hat ebenfalls Erfahrungen mit Knausgård gemacht und wie waren eure Eindrücke?
Alle sechs Bände stehen in meinem Regal, allerdings habe ich bisher nur zwei gelesen. Ich tue mich immer etwas schwer mit Reihen, was allerdings nicht heißen muss, dass ich sie nicht mag. Ganz im Gegenteil. Wie jetzt auch bei Ferrante. Für gute Bücher lasse ich mir Zeit, es braucht den Moment. Ich kaufe sie mir und dann kommt der richtige Augenblick sie zu lesen.
Wie Du schon sehr schön beschreibst: Es gibt diesen Sog bei Knausgård, der einen sehr tief in den Text zieht, vielleicht liegt es gerade an dieser Mischung aus Autobiografischen und Essayhaften. Ich finde es deshalb auch falsch, über ihn zu spotten. Wie es ja mittlerweile auch ein wenig Mode geworden ist. Allerdings sehe ich auch gerade in der norwegischen Literatur, dass dieses Autobiografischen dort sehr verwurzelt scheint. Viele Grüße
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Mir geht es mit Knausgård ähnlich, es muss der richtige Moment kommen, damit ich mich darauf einlassen kann. Spott finde ich auch völlig unangebracht, gleichzeitig ist die Kritik an der Detailfülle und teilweise vielleicht auch Banalem nachvollziehbar, weshalb ich persönlich mit der knappen Art von Espedal eben auch besser zurechtkomme.
Viele Grüße
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