Wakayama Bokusui – In der Ferne der Fuji wolkenlos heiter

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Der Manesse Verlag hat einen Gedichtband mit Tanka des japanischen Dichters Wakayama Bokusui herausgebracht. In der Ferne der Fuji wolkenlos heiter ist eine Liebeserklärung an die Natur im Allgemeinen und den Fuji im Besonderen.

Tanka werden im Gegensatz zu Haiku vermutlich den wenigsten Menschen im Westen ein Begriff sein. Haiku, die berühmten dreizeiligen Gedichte mit der 5-7-5 Silbenstruktur sind mit DIE Repräsentanten für japanische Literatur, insbesondere die japanische Lyrik. Weniger bekannt sind ihre Vorgänger, die Tanka. Die ersten schriftlich nachweisbaren Tanka wurden um das Jahr 760 in einer Anthologie veröffentlicht. Die reimlosen Gedichte folgen der Silben- bzw. Morenstruktur 5-7-5-7-7. Durch das Weglassen der beiden letzten Zeilen entwickelten sich später die Haiku-Gedichte.

Das Schiff legt an
Ein sternenübersäter Himmel
spannt sich übers Land
und mittendrin erhebt sich
wundersam der Berg

Wakayama Bokusui war einer der bekanntesten Tanka-Dichter. Er lebte von 1885 bis 1928 und wuchs auf der Insel Kyushu im japanischen Süden auf. Er schrieb insgesamt 15 Tanka-Bände – In der Ferne der Fuji wolkenlos heiter wurde von Eduard Klopfenstein zusammengestellt und übersetzt, um einen Überblick über Bokusuis Leben und Werk zu schaffen. Die Tanka sind in fünf Lebensabschnitte unterteilt und immer mit den jeweiligen Jahreszeiten versehen, in denen sie entstanden. Viele der über 250 hier versammelten Gedichte befassen sich mit der Natur, inmitten welcher der Dichter aufwuchs und in die er sich immer wieder zurückzog.

Von ganzem Herzen
etwas neu beginnen
heißt
für einen kurzen Augenblick
in reinster Freude leben

Die schlichten aber dennoch berührenden Naturbeschreibungen sind es, die diesen Tankaband so lesenswert machen. An vielen Stellen fühlt man sich von Bokusuis Worten hinfortgetragen, als stünde man gemeinsam mit ihm im Wald und lauschte den Geräuschen des Windes und der Tiere, und so mancher Fünfzeiler hat regelrecht meditative Züge an sich. Ganz besonders der Berg Fuji wird immer wieder voller Bewunderung und Ehrfurcht erwähnt – der mächtige Fuji-san thront über allem, egal, wohin man blickt.

Dämmerung vor Tag
Schwer legt sich Feuchtigkeit
auf alle Dinge
und die knospenden Bäume
stehen in tiefer Stille

Mich persönlich haben die Tanka, die nicht auf die Natur fokussiert sind, sondern sich eher mit dem alltäglichen ländlichen Leben Bokusuis beschäftigen, nicht ganz so sehr überzeugen können. Sie waren mir zum Teil zu banal. Hier muss allerdings gesagt werden, dass ich mich vorher nie großartig mit Haiku und Tanka befasst habe – ein versierter Leser dieser Lyrik würde die alltäglicheren Tanka vermutlich anders bewerten als ich. Mir waren sie schlicht zu langweilig. Ebenfalls gelungen fand ich wiederum die Trinkgedichte, in denen Bokusui seinen Sake-Konsum beschreibt, mal auf melancholische, mal auf sehr amüsante Weise, mal beides zur gleichen Zeit.

Schwapp schwapp schwapp
Sake plantscht im vollen Fass
armes Herz
allein
schwankt im selben Takt

Begleitet werden die Tanka von fünf Kalligrafien Bokusuis und einem Nachwort Klopfensteins, der dort Allgemeines zu diesem Tankaband erläutert, aber auch auf das Leben Bokusuis eingeht sowie dessen Werk in der japanischen Literatur verordnet. Klopfenstein, einer der führenden Japanologen, wurde 2010 mit dem Order of the Rising Sun ausgezeichnet und hat hier eine wunderbare, stimmungsvolle Übersetzung vorgelegt, die der deutschen Leserschaft die japanische Lyrik, Kultur und Mentalität näherzubringen vermag.

Zwar konnten mich nicht alle Tanka gleichermaßen überzeugen, dennoch ist Wakayama Bokusuis Sammlung In der Ferne der Fuji wolkenlos heiter ein toller Lyrikband der modernen japanischen Dichtung, der mit wunderschöner Optik und vor allen Dingen mit eindrucksvollen und berührenden Naturbeschreibungen überzeugt.

Eine weitere Besprechung des Buchs findet ihr hier: Am Meer ist es wärmer

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  1. Monatsrückblick: Unsere Bücher im Mai – Letusredsomebooks

    […] Bokusuis Sammlung umfasst über 250 Tanka aus 20 Jahren seines Schaffens. Tanka sind eine mit dem Haiku verwandte japanische Gedichtform. Bokusui schreibt in seinen Gedichten meist über die Natur, den Fuji, aber auch über die Liebe, die Familie und das Sake-Trinken. Besonders die Naturbeschreibungen in den Tanka sind sehr schön und fast schon meditativ gelungen, auch wenn mich nicht alle Gedichte gleichermaßen überzeugen konnten. Eine ausführlichere Besprechung findet ihr hier. […]

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