Klaus Böldl – Der Atem der Vögel

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Ein Einzelgänger im hohen Norden

Nördlich von Schottland liegen die Färöer-Inseln. Hier lebt Philipp seit zwei Jahren. Er ist ein Deutscher, Mitte dreißig und ein Einzelgänger. Seine Zeit verbringt er mit langen Spaziergängen durch den Wohnort. Von seiner Lebensgefährtin Johanna, die in einem Krankenhaus arbeitet, entfremdet er sich immer mehr. Zu ihrer Tochter Rannvá aus einer früheren Beziehung verbindet ihn ein stilles Einverständnis. Als Johanna und Rannvá die Familie in Dänemark besuchen, ist Philipp alleine und wird auf sich selbst zurückgeworfen.

Der Atem der Vögel von Klaus Böldl hat mich zunächst sehr angesprochen. Laut Klappentext beginnt Philipp nach der Abreise von Johanna „eine Wanderung über die Inseln, die ihn immer tiefer in die Natur führt. Wird er erst im Weggehen zu sich kommen? Wird er erst im Verschwinden seinen Ort finden?“ Auf seine Reise tief in die Natur warte ich bis heute ebenso wie auf seine Reise zu sich selbst. Wer sich für dieses Buch entscheidet, sollte sich bewusst sein, dass der Klappentext nicht wirklich dem Inhalt entspricht. Ja, Philipp ist ohne seine Lebensgefährtin auf den Färöer, aber tief in die Natur wandern tut er nicht. Ja, er wandert, aber letztlich passiert dabei eigentlich gar nichts. Ebenso die aufgeworfene Frage, ob er erst im Weggehen zu sich kommt, verspricht letztlich mehr als geschieht.

Tatsächlich bietet der Roman aber andere spannende Ansätze. Die eigentümliche Stimmung der Färöer-Inseln wird eindrücklich beschrieben, die Andersartigkeit des Lebens auf so einer abgelegenen Insel kommt gut zur Geltung.

Hier zu wohnen erschien mir als das denkbar vollständigste Wegsein. Auf Inseln, die Unmengen von Wasser um sich und Unmengen von Himmel über sich versammeln. In deren Hochebenen man rasch zu einem kaum unterscheidbaren Punkt wird. Eine größere Abwesenheit ließ sich die Welt nicht entgegensetzen. Verschollen wie der Bergmann von Falun, unter einem fremden Wolkenhimmel, versunken in fremden Einzelheiten.

Philipp ist ein sehr eigener Mensch. Als Restaurator ist er auf die Inseln gekommen und wohnt nun bei Johanna. Die Beziehung zwischen den beiden ist aber längst nicht mehr glücklich. Ein besseres Verhältnis hat er zu Johannas Tochter Rannvá. Das Kind ist genügsam und findet überall Beschäftigung. Sonst findet Philipp nur schwer Anschluss, es ist deutlich, dass er ein Fremder ist. Dabei ist ein feinfühliger Mensch, der seine Umgebung, die Tiere, die Menschen und die Geräusche anders wahrnimmt als seine Mitmenschen. Dabei war er schon immer ein Einzelgänger, der bei anderen kaum einen Eindruck hinterlässt. Durch das Auffinden einer Leiche werden in ihm aber auch verdrängte Erinnerungen wach, die er scheinbar nie verarbeitet oder mit jemand geteilt hat. Durch die Reise von Johanna völlig auf sich allein gestellt, in Gedanken versunken, versucht er zu sich selbst zu finden.

Verschenkte Chance

Nach der Lektüre von Der Atem der Vögel war ich enttäuscht. Durch den Klappentext ist bei mir eine (vielleicht zu hohe?) Erwartungshaltung entstanden, die der Roman nicht erfüllen konnte. Philipps Reise zu sich selbst erscheint mir doch belanglos und ohne Tiefe daherzukommen. Was der Roman dagegen gut wiedergeben kann, ist die Atmosphäre und eine ganz eigene Stimmung, die sich vor allem durch Stille auszeichnet. Zudem gelingt es dem Autor gut, Landschafts- und Naturbilder zu beschreiben. Das alleine macht aber noch keinen guten Roman.

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