Das Spiel mit der Identität
Georg Autenrieth ist eine merkwürdige Gestalt in Zeiten des Umbruchs. Er stammt aus Westdeutschland, hält sich häufig in Berlin auf, aber auch in den USA und München. In Berlin hat er Kontakt zur Szene, durchstreift die Stadt und pflegt ein lasterhaftes Leben. Aber immer wieder verschwindet er, und keiner weiß wohin. Außerdem hat er sonderbare Verbindungen zu der RAF und wer ist der mysteriöse „Glasmann“?
Gerhard Falkner gehört zu den renommiertesten deutschen Lyrikern der Gegenwart, der für sein Werk zahlreiche Auszeichnungen erhielt. Mit Apollokalypse liegt nun sein Romandebüt vor. Um es gleich vorweg zu nehmen, ich habe mich dem Buch sehr schwer getan und kann es auch jetzt, ein paar Wochen nach dem Lesen, nur schwer einordnen und eigentlich trau ich mich kaum, es zu bewerten. Im Mittelpunkt steht sowohl als Figur als auch Erzähler Georg Autenrieth. Er schildert seine eigene Biographie. Doch scheint er sich häufig nicht wirklich sicher über den Hergang der Dinge, ebenso wenig was seine wirkliche Identität angeht. So kommt es zu keiner linearen Erzählung, die auch nicht chronologisch aufgebaut ist. Gemeinsam mit seinen Bekannten Heinrich Büttner und Dirk Puy lässt er sich von Drogen und Sex durch das Leben treiben. Mal in New York oder München, dann in San Francisco oder Nürnberg, aber vor allem in Berlin. Autenrieth macht auf mich den Eindruck eines Narzissten, der von Sex geradezu besessen scheint. „Wenn man verliebt ist und gut gefickt hat, verdoppelt die Welt ihre Anstrengung, in Erscheinung zu treten“, lautet bereits der erste Satz des Romans. Sex erscheint als eine Art Erkenntnismittel, das die Figuren gleichzeitig aber auch ihrem eigenen Abgrund immer näher bringt. Daher verwundert es nicht, dass es häufig zu Sex-Darstellungen kommt, die mich aber nach dauernder Wiederholung aber eher gelangweilt haben. Bereits im Titel zeigt sich eine Verschmelzung von Rettung (Apoll: griechischer Gott des Lichts, der Heilung und Mäßigung) und Untergang (Apokalypse: das Ende der Welt).
Eine zentrale Rolle in der Handlung nimmt Berlin in den 80er und 90er Jahren ein. Da ich selbst keinen besonderen Bezug zu der Stadt habe, kann ich auch nicht beurteilen, inwiefern Falkner die Stimmung der Stadt gut eingefangen hat. Zumal ich selbst zum geschilderten Zeitpunkt selbst gar nicht auf er Welt war, beziehungsweise ein Kleinkind, das keine Kenntnis von Berlin Kreuzberg hatte. Von daher fehlt mir hier einfach der Bezug.
Was ich allerdings wirklich als anstrengend empfunden habe, sind die vielen Anspielungen und Verweise im Text auf Literatur, Kunst und Musik. Einige habe ich erkannt, viele nicht. Zunächst las es sich für mich noch spannend und interessant, auf Dauer war es mir aber zu viel. Und der Sinn dahinter hat sich mir auch nicht erschlossen.
Wiederum beeindruckt bin ich von Falkners Umgang mit Sprache. Es ist wirklich ein Genuss, den Ausführungen zu folgen und die Sprachkunst des Autors zu entdecken. Als Leser sollte man allerdings kein Problem mit Schachtelsätzen haben. Zum Wortschatz des Autors gehören ebenso vulgäre Ausdrücke.
„Vielleicht habe ja auch ich nicht nur eine Lebensgeschichte“, sagte er oder dachte er. „Wenn unsere Sprache das aushält, haben wir wahrscheinlich so viele Lebensgeschichten, wie wir wollen, und wenn wir verrückt sind, nur eine einzige mehr als wir verkraften.“ Aber erst am nächsten Tag stürzte Büttner richtig ab und die Teufelchen in seinem Kopf meldeten sich zurück. Als ausgewachsene Teufel.
Bei mir hat es nicht funktioniert
Apollokalypse ist auf keinen Fall ein Roman, den man mal kurz nebenbei lesen kann, auch wenn er nur knapp über 400 Seiten lang ist. Für meinen Teil muss ich aber sagen, dass der Roman nicht funktioniert hat. Trotzdem denke ich nicht, dass es ein schlechtes Buch ist. Das Spiel mit den Identitäten und das literarische Können des Autors haben mich beeindruckt, aber die Anspielungen, Berlin als Kulisse, zu der ich keinen Bezug habe und die ständigen Wiederholungen der Sexszenen, haben mein Leseerlebnis doch erheblich getrübt.
Sehr lesenswert ist dieses Streitgespräch von anderen Bloggern über den Roman.
Apollokalypse stand 2016 auf der Longlist des deutschen Buchpreises.
Ich würde 4,5 Sterne geben, halte das Buch für ein Meisterwerk.
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ich habe das Buch mit vollkommen überzogener Erwartung, entstanden durch ein Interview im Deutschlandradio Kultur, angefangen, und nach ca. der Hälfte entnervt weggelegt. Abgesehen von einigen vielleicht witzigen Momenten, erschien mir die Szene mit dem Huhn z.B. dazu angetan, einer amerikanischen Erzählweise Paroli zu bieten, hier aber gingen dann Form und Inhalt für mich auseinander und es entstand in meinen Augen einfach nur ein dürftiger Akt mit glibberigem Etwas.
Große Schwierigkeiten bereiteten mir auch die Ortswechsel nach München oder in die Niederlande. Ich bald den Eindruck hatte, hier habe ein Tagebuch Pate gestanden. Was mich nicht stören würde, wenn es nicht unter diesem Sprachenberg sozusagen verschüttet würde.
Ich kann dieser Rezension oder Besprechung demnach sehr gut folgen und meinerseits bestätigen, dass ich den im Vorfeld verliehenen Vorschusslorbeeren gehörig auf den Leim gegangen bin. Immerhin wurde das Buch als Favorit auf den Buchpreis gehandelt. Es kam dann ja nichtmal auf die Shortlist.
Zur Sprache nur soviel: sie ist phasenweise wirklich atemberaubend, dann aber auch, weil durchgehend wie ein Sprachmassiv, nicht wirklich leichtfüßig oder erzählerisch treibend, sondern in Phasen dann fast schon materialistisch den eigenen Duktus austrocknend. Wenn schon Sterne, würde ich auch nur drei vergeben.
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