Rebecca F. Kuang – Yellowface

R.F. Kuang Yellowface Rezension

Was für ein Buch – Yellowface von R.F. Kuang ist ein wilder Ritt durch die Verlagsbranche und Buchbubble, satirisch, böse und unfassbar unterhaltsam.

Writing is the closest thing we have to real magic. Writing is creating something out of nothing, is opening doors to other lands. Writing gives you power to shape your own world when the real one hurts too much.

June Hayward und Athena Liu sind so etwas ähnliches wie Freundinnen – sie gingen zusammen zur Uni, begannen beide ihre schriftstellerische Karriere und trafen sich hin und wieder. Doch während June nur mäßige Erfolge feierte und nie an ihr unterdurchschnittliche populäres Debüt anknüpfen konnte, stieg Athena zum Shooting Star der literarischen Szene auf. Als Athena jedoch plötzlich stirbt, wittert June eine einmalige Chance: sie stiehlt das Manuskript, an dem Athena die letzten Jahre still und heimlich gearbeitet hat, und gibt es als ihr eigenes aus.

Denn was ist schon dabei, als weiße Autorin die Grundidee einer guten Freundin (ein historischer Roman über chinesische Arbeiter während WWI) zu überarbeiten, ihr den letzten Feinschliff zu verleihen und unter einem racially ambiguous Namen wie „Juniper Song“ zu veröffentlichen, um endlich die heiß ersehnten und längst überfälligen Lorbeeren einzuheimsen?

Mehr und mehr überzeugt sich June selbst davon, dass ihre Entscheidung logisch, moralisch richtig und dabei natürlich auch das beste für ihre tote „Freundin“ ist. Dabei offenbart sich den Leser:innen jedoch schnell: sie ist absolut keine verlässliche oder vertrauenswürdige Erzählerin. Und je weiter sich June in ihr Lügengeflecht verstrickt, desto schwieriger wird es, ihm wieder zu entkommen. So kann sie nicht anders, als immer weiter zu machen, ganz gleich, welche Überraschungen ihr begegnen – und davon folgt eine der anderen.

I want the world to wait with bated breath for what I will say next. I want my words to last forever. I want to be eternal, permanent; when I’m gone, I want to leave behind a mountain of pages that scream, Juniper Song was here, and she told us what was on her mind.

Immer mehr beginnt June, am Tod ihrer Freundin zu zweifeln. War das nicht gerade Athena, die sie auf der gegenüberliegenden Straße gesehen hat? Hat sie wirklich ihren Tod vorgetäuscht, um die Betrügerin auffliegen zu lassen? Oder ist es ihr Geist, der sie heimsucht, um sich für dieses Verbrechen unter Kolleginnen zu rächen? Das alles sollten eigentlich klare Zeichen für June sein, endlich die Wahrheit zu sagen und sich vom Ballast ihrer Lügen zu befreien – tja, falsch gedacht, denn die Story lebt einfach komplett davon, dass Junes stets die falschen Entscheidungen trifft.

Rasantes Pacing, Witz und brennende Aktualität zeichnen den Roman aus. Kuang geht hier auf viele extrem relevante Themen ein – Rassismus und Klassizismus in der Buchbranche, alltägliche rassistische Mikroaggressionen, kulturelle Aneignung, Twitter Culture, Plagiarismus, Entitlement und mehr. Die Fülle von Themen zeigt allerdings schon auf den ersten Blick: hier wird nichts in besonderer Tiefe behandelt, das hat mich persönlich aber nicht gestört. Kuang geht nicht nur der Frage nach, wer überhaupt welche Geschichten erzählen darf, sondern auch der Frage, wie wir geistiges Eigentum definieren und wo Autorschaft beginnt bzw. endet.

Alt-right free-speech proponents have made me their cause célèbre. I and my pretty, Anglo-Saxon face have become the perfect victim of the left-wing fascist cancel-culture mob. […] thousands of Trump voters are buying a book about mistreated Chinese laborers. […] Okay, yes, I know how bad this looks. Like Taylor Swift, I had no intention of becoming a white supremacist Barbie. Obviously I’m not a Trumper – I voted for Biden! But if these people are hurling money at me, is it so wrong of me to accept? Should we not celebrate scamming cash from racist rednecks whenever we get the chance?

June bei ihren absoluten Entgleisungen zu begleiten, war wie das sprichwörtliche Autounfall-beobachten: ich fand sie furchtbar, dreist und ignorant, überzeugt von Reversed Racism. Sie ist die Fleischwerdung zahlreicher unhaltbarer Onlinekommentare und dadurch einfach an sich erschreckend und unterhaltsam zugleich. Kuang greift hier eigenen Aussagen nach auf ihre eigenen Erfahrungen, sowohl in der Literaturbranche als auch in den Online-Spaces, zurück. Wer in den sozialen Medien schon ausgiebige Diskussionen zu den hier behandelten Themen mitverfolgt hat, wird vermutlich wenig Überraschendes und Neues entdecken, sich aber hoffentlich trotzdem exzellent unterhalten fühlen.

Alles in allem war Yellowface von Rebecca F. Kuang für mich herrlich absurd und zynisch, ich habe jede Seite geliebt und wusste beim Zuschlagen des Buchs sofort, dass das ein klares Jahreshighlight für mich ist. Auf Deutsch übersetzt von Jasmin Humbug erscheint der Roman Ende Februar 2024 im Eichborn-Verlag.

Years of suppressed rage – rage at being treated like a stereotype, my voice doesn’t matter, like the entirety of my being is constituted in those two words, „white woman“ – bubble up inside me and burst.

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