Nicole Krauss – Waldes Dunkel

Nicole Krauss Waldes Dunkel Rezension

Nicole Krauss‘ Roman Waldes Dunkel erzählt von zwei Menschen, die in Israel nach sich selbst suchen. Schöne, mystische Momente werden allerdings von zu viel Verwirrung überschattet und der Leser fühlt sich am Ende ähnlich verloren wie die beiden Protagonisten.

Jules Epstein, ein erfolgreicher und wohlhabender New Yorker Anwalt, lässt eines Tages alles stehen und liegen und steigt in den Flieger nach Tel Aviv. Kontakt hält er nur sporadisch zu seiner Assistentin, niemand aus seiner Familie weiß, wo er genau ist und was er vorhat. Auch eine amerikanische Autorin und Journalistin fühlt sich von Israel angezogen: sie flieht ins Hilton Hotel in Tel Aviv, um dort vielleicht endlich an ihrem neuen Buch weiterschreiben zu können.

Der Roman erzählt von zwei Menschen, die sich selbst verloren haben. Epstein hat sich von seiner Frau getrennt und seine Eltern verstarben beide kurz hintereinander. Nach und nach beginnt er, seinen Lebensstil zu hinterfragen: braucht er dieses Luxusapartment und diese tausend-Dollar-teuren Gemälde und Skulpturen? Und all diese pompösen und doch langweiligen Veranstaltungen? Er verschenkt einen Großteil seines Vermögens, erdrückt von Geld und Luxus, und beschließt, im Namen seiner verstorbenen Eltern eine Stiftung zu errichten. Auch die junge Schriftstellerin ist aus ihrer gewohnten Bahn geworfen: sie und ihr Mann scheinen sich sehr voneinander entfernt zu haben und eigentlich nur wegen der zwei gemeinsamen Kinder zusammenzubleiben. Außerdem hat sie seit einiger Zeit gewisse außerkörperliche Erfahrungen: so hat sie das Gefühl, als sie eines Abends nach Hause kommt, schon im Haus zu sein, obwohl sie noch davor steht. Mysteriös, denkt sich der Leser und wartet darauf, dass in dieser Hinsicht noch mehr passiert.

Natürlich sind sie beide Künstler, meine Kinder. Schließlich ist die Weltbevölkerung der Künstler derartig explodiert, dass heute fast niemand mehr kein Künstler ist; mit unserer nach innen gekehrten Aufmerksamkeit haben wir unsere ganze Hoffnung nach innen gekehrt, in dem Glauben, dort könne Bedeutung gefunden oder geschaffen werden.

Doch das tut es eigentlich nicht. Ständig werden Andeutungen gemacht, wie diese des Multiversums oder auch jene, dass Epstein ein Nachfahre von König David sein könnte, die sich später im Sand verlaufen. Statt Auflösungen bietet Krauss nur Rätsel und Fragen, es werden Büchsen geöffnet und nie verschlossen, quasi eine Matrjoschka aus Andeutungen, die nirgends hin führen. Plötzlich werden verschollene Manuskripte von Kafka eingebracht sowie eine Verschwörungstheorie, die besagt, er sei nicht in Prag an Tuberkulose gestorben, sondern heimlich nach Israel gereist, um dort auf Hebräisch weiter zu schreiben und seinen Garten zu pflegen. Diesen Teil fand ich ehrlich gesagt am Interessantesten, leider beginnt er erst nach ca. 250 Seiten. Vorher bleibt alles vage und unklar. Gegen Ende findet sich noch einmal eine wundervoll kafkaeske Szene – man denke an Die Verwandlung –, die zur Erkenntnis der verloren geglaubten Schriftstellerin führt. Und sonst? Was sagt mir dieser Roman nun?

Vielleicht fürchtetet ich mich auch deshalb nicht, weil ich glaubte, meine Krankheit, was immer es war, sei zugleich eine Form von Gesundheit, die Fortsetzung einer bereits in Gang gekommenen Verwandlung.

Ich habe das Gefühl, schon beim Lesen selbst, aber vor allem auch nach Beenden der Lektüre, dass Krauss viele interessante Ideen und Ansätze hat. Aber vermutlich zu viele auf einmal. Der Roman hat definitiv Potential, kann es aber nicht wirklich entfalten, da er alle möglichen Richtungen gleichzeitig einschlägt. Letztlich führt er überall und nirgends zugleich hin. Als Leser fühlt man sich verwirrt und auch ein wenig verloren, man weiß nicht, was die Geschichte genau erzählen und vermitteln will. Meiner Meinung nach ist das alles ein bisschen halbgar.

Selten hatte er den Kopf aus den mächtigen Strömungen seines Lebens erhoben, war zu sehr damit beschäftigt gewesen, mitten hindurchzutauchen. Aber jetzt gab es Momente, in denen er die Totale sah, bis zum fernen Horizont. Und das erfüllte ihn gleichermaßen mit Freude und mit Sehnsucht.

Nicole Krauss Roman Waldes Dunkel lässt mich sehr gespalten zurück. Gerade durch das langsame Tempo zu Anfang des Romans und die fehlende Spannung, die fehlende Handlung, hat es sich ganz schön gezogen. Danach folgen zwar einige interessante Seiten zu Kafka, doch auch das Ende fühlt sich wieder unbefriedigend an. Das Buch dreht sich zwar mit einigen durchaus starken Momenten um Identitätskrisen, Verlorensein, Flucht und Selbstfindung, lässt einen als Leser aber ratlos und ebenfalls in einer Krise zurück: Was möchte die Autorin mir eigentlich sagen? Die mystischen und kafkaesken Szenen haben mir zwar gut gefallen, aber mich im Endeffekt, mit Blick auf das große Ganze, bloß noch mehr verwirrt. Auch das Feuilleton und andere Blogger, wie zum Beispiel letteratura und BooksterHRO, waren in ihren Meinungen sehr gespalten – es scheint, als würde der Roman entweder besonders oder gar nicht überzeugen.

3 Kommentare

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  1. Lesen... in vollen Zügen

    Ich habe das Buch vor gut einem Jahr auf Englisch gelesen und fand auch, daß es viele Ebenen gibt, die sich zumindest mir beim ersten Lesen definitiv noch nicht erschlossen haben.
    Allerdings hat es mir deutlich besser als das „Große Haus“ gefallen, auch wenn es an „Die Geschichte der Liebe“ nicht rankommt.

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    • letusreadsomebooks

      Gut zu wissen, dass ich damti nicht allein bin! ;)
      Ich habe auch oft gelesen, dass dieses Buch nicht mit den anderen beiden (vor allem DGdL) mithalten kann.
      Ich bin aber erst mal nicht an weiterer Lektüre von ihr interessiert…hat nicht so richtig geklickt bei uns, leider. :D

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