Welttag des Buches: Literaturskandale

Zum Welttag des Buches haben wir euch letztes Jahr eine schöne Liste mit Büchern über Bücher präsentiert. Dieses Jahr geht es weniger kuschelig zu, denn wir wollen euch drei spannende Literaturskandale vorstellen, die in Erinnerung geblieben sind.

Rainald Goetz – Lesung beim Bachmann-Preis

Jedes Jahr wird im Sommer in Klagenfurt der Bachmann-Preis verliehen. Besonders in Erinnerung geblieben und für viel Aufsehen gesorgt hat eine Lesung im Jahr 1983. Schlagartig wird der Autor Rainald Goetz berühmt. Statt einer Lesung bietet er eine Performance. Goetz las aus seinem Text Subito. Hier heißt es an einer Stelle: „Ich schneide ein Loch in meinen Kopf, in die Stirne schneide ich das Loch. Mit meinem Blut soll mir mein Hirn auslaufen“ und als er bei der Zeile „Ihr könnts mein Hirn haben“, angelangt war, griff er zu einer Rasierklinge und schnitt sich in die Stirn. Die Lesung brachte er dann blutüberströmt zu Ende. Ein Moment, der bis heute kaum an Intensität eingebüßt hat. Geholfen hat es allerdings nicht, den Bachmann-Preis konnte Rainald Goetz mit seinem Auftritt nicht gewinnen.

Das Video der Lesung und die anschließende Diskussion der Kritiker (unter anderem Marcel Reich Ranicki) kann man sich bis heute angucken.

Misha Defonseca – Überleben unter Wölfen

Die Geschichte, die Misha Defonseca 1997 in ihrer Autobiographie Überleben unter Wölfen (Misha: A Mémoire of the Holocaust Years) veröffentlichte, erregte großes Aufsehen. Das Buch wurde in Europa zum Bestseller und in 20 Sprachen übersetzt. Defonseca erzählt, wie sie als Mädchen von einem Wolfsrudel aufgenommen wurde und nur so den Holocaust überleben konnte. Geboren wurde sie 1934 als Einzelkind in Brüssel, es hat keine näheren Verwandten gegeben. Den Familienname hat sie vergessen. Kurz vor oder kurz nach der Besetzung Belgiens wurde sie in eine Pflegefamilie gegeben, die sie nicht gut behandelte und ihr den Namen Monique de Wael gab. Im Jahr 1940 wurden ihre Eltern entweder von der Gestapo oder der belgischen Polizei verhaftet und verschleppt. Der Großvater der Pflegefamilie schenkte ihr einen Kompass und sagte zu ihr, dass ihre Eltern irgendwo im Osten seien. Nur mit dem Kompass ausgerüstet und keine sieben Jahre alt, macht sich Monique Ende 1940 oder Anfang 1941 auf die Suche. Über Deutschland kommt sie nach Polen, gelangt in das Warschauer Ghetto und wieder hinaus und wird Zeugin der Verbrechen der Nationalsozialisten. Überleben konnte sie nur durch die Hilfe von Tieren: ein Rudel Wölfe nahm sie auf, teilte mit ihr die Nahrung und wärmte sie.

Über die Ukraine, Rumänien, Jugoslawien, Italien und Frankreich gelangte sie dann 1945 im Alter von elf Jahre zurück nach Belgien, wo sie von einer katholischen Familie aufgenommen wurde, die Schule nachholte, heiratete und als Lehrerin arbeitete. Das Buch wurde 2007 verfilmt. Die Geschichte klingt spektakulär, doch wie sich herausstellte, ist sie leider erfunden. Die belgische Zeitung Le Soir machte eine Cousine der Autorin ausfindig, welche den Wahrheitsgehalt des Buches in Frage stellte, während der Film in den Kinos lief. In einer Stellungnahme räumte die Autorin ein, die Autobiographie erfunden zu haben. Ihre Eltern seien keine Juden gewesen, aber als Widerstandskämpfer verhaftet worden. Seitdem hätte sie sich als Jüdin gefühlt und als Waise ein Leben unter Tieren erträumt. 2014 wurde die Autorin dazu verurteilt, ihrem Verleger 22,5 Millionen Dollar zu zahlen, sowie die zuvor erstrittenen Autorrechte zurückzugeben.

Bereits 1996, vor der Veröffentlichung, äußerte der damalige Spiegel-Redakteur Henryk M. Broder in einem Artikel Zweifel an Defonsecas Autobiographie. Er befragte Israel Arbeiter, der zu der Zeit Vorsitzender der American Association of Jewish Holocaust Survivors of Greater Boston war. Dieser sagte damals, dass er eine solche „unfassbare“ Geschichte noch nie gehört hätte und führte weiter aus: „Das Schlimmste, was passieren könnte, wäre, wenn das Buch rauskommt, und es stellt sich als Fälschung heraus. Es wäre Wasser auf die Mühlen der Holocaust-Leugner und Revisionisten.“ In Broders Artikel sagte die Verlegerin von Defonseca zudem, dass Disney bei der Verfilmung mit einem „Super-Hit von der Art, wie es ,Schindlers Liste‘ für Spielberg war“ rechne.

Janet Cooke und der zu Unrecht erhaltene Pulitzer Preis

Im weitesten Sinne mit Literatur hat der folgende Fall zu tun:
Die junge, aufstrebende Journalistin Janet Cooke bewarb sich bei der Washington Post und lieferte nach einigen vielversprechenden Artikeln eine absolute Wahnsinns-Story. Cooke sollte eigentlich über eine neue Form von Heroin berichten, doch um sich von ihren ganzen Journalistenkollegen abzuheben, erzählte sie dem leitenden Redakteur, dass sie einen achtjährigen drogenabhängigen Jungen namens Jimmy ausfindig gemacht hätte. So schrieb sie an ihrer Reportage „Jimmy’s World“, telefonierte angeblich mit der Mutter des Jungen und besuchte sie in ihrem Haus. Sie beschrieb Jimmys Aussehen, seine Art, seinen Traum vom eigenen Drogenhandel und wie Junkies sich zuhause direkt neben Jimmy Heroin spritzten.
Die Mutter wolle allerdings anonym bleiben, und da der Lebensgefährte Cooke mit einem Messer bedroht hätte, müsse man natürlich vorsichtig sein. Niemand stellte nach diesen Aussagen Cookes Glaubwürdigkeit in Frage. Die Story wurde zu einer absoluten Sensation und die ganze Stadt versuchte, Jimmy zu finden, um ihm zu helfen. Gemeinsam mit ihrem Kollegen sollte Janet Cooke zu dem Haus des Jungen fahren, doch merkwürdigerweise fand sie es nicht wieder, als sie die Gegend absuchten. Als ein andere Kollege mit ihr losfahren wollte, behauptete sie, Jimmy und seine Mutter seien nach Baltimore umgezogen. Nach siebzehn Tagen stellte man die Suche ein, denn auch die Polizei hatte nie von Jimmy gehört oder ihn finden können.

Als „Jimmy’s World“ für den Pulitzer Preis nominiert wurde, musste Janet Cooke ihre biografische Angaben weiterleiten. Sie fügte zu ihren Fremdsprachen noch Italienisch und Portugiesisch hinzu und erhöhte die Anzahl ihrer journalistischen Preise auf sechs, wie man das halt so macht. Des weiteren habe sie noch ein Jahr lang an der renommierten Sorbonne studiert. Am 13. April 1981 erhielt Cooke den Pulitzer Preis, doch schon kurze Zeit später meldeten sich die Universität von Toledo sowie das Vassar College, um die von Cooke dargestellten Angaben zu korrigieren. Nachdem sie erfolglos versuchte, sich herauszureden, gab man Cooke 24 Stunden Zeit um zu beweisen, dass Jimmys Geschichte wahr ist – Janet Cooke gab sich geschlagen und vertraute sich einem Kollegen an und bat darum, den Pulitzer Preis zurückgeben zu dürfen.

In der Realität sah es nämlich so aus: Janet Cooke hatte nie ihren Schreibtisch für diesen Artikel verlassen. Sie sprach lediglich mit Sozialarbeitern über die Kinder in Washingtons Drogenszene. Einen Jungen hatte sie nie getroffen, niemals eine Familie besucht. Nach der Aufdeckung des Skandals behauptete Cooke, es gäbe zwar Jimmy nicht, dafür aber viele andere drogenabhängige Jungen, für die er ein Repräsentant sein könne. Doch dann hätte sie vielleicht lieber eine Kurzgeschichte als eine Reportage schreiben sollen.

Welche Literaturskandale sind euch besonders im Gedächtnis geblieben? Oder kennt ihr vielleicht welche, die hier in Deutschland kaum an die Öffentlichkeit getragen wurden? Wir sind gespannt!

5 Kommentare

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  1. therealisapotter

    Wow, das war wirklich interessant und richtig gut geschrieben! <3 Ich kenne leider keine Literaturskandale, aber sollten durch die Kommentare noch ein paar zusammenkommen, fände ich einen weiteren Post dieser Art richtig toll! :) [no pressure, tho :D]

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  2. Wortlichter

    Mir fällt da spontan der Skandal um Allen Ginsbergs Gedicht „Howl“ ein. Dabei ging es ganz bedeutend um die Freiheit der Kunst und der Literatur. In den 50ern wurde sein Gedicht als obzön eingestuft und es gab einen Gerichtsprozess gegen den Verleger, der mediale Aufmerksamkeit erregte und dann sogar gewonnen wurde. Es gibt sogar einen ganzen Film, der die Ereignisse nachstellt.
    Das hat nicht nur Ginsberg zu Aufmerksamkeit verholfen, sondern war auch ein Schritt zu mehr Offenheit und Freiheit in der Literatur.

    Liebe Grüße, Anja

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