
Jeffrey Eugenides The Virgin Suicides ist eine vielschichtige Satire, die bis zur letzten Seite fesseln kann.
Zwanzig Jahre, nachdem sich fünf wunderschöne und geheimnisvolle jugendliche Schwestern innerhalb kürzester Zeit das Leben nahmen, erinnern sich die Jungs aus der Nachbarschaft an ihre Tode und wie es dazu kam: In einer amerikanischen Kleinstadt in den 1970er Jahren sind die Leben der Lisbon-Schwestern von einer repressiven Umgebung und gesellschaftlichen Erwartungen geprägt – bis sie sich eine nach der anderen dazu entscheiden, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. So viel steckt in diesen knapp 200 Seiten, geschickt verpackt und erzählt aus der Perspektive einer Gruppe von Jungs, die das ganze Geschehen rund um die Suizide der 13- bis 18-jährigen Mädchen nur von außen betrachten konnten, immer mit einer gewissen Distanz, aber stets beeinflusst vom Gerede der Mitschüler:innen und Mitbürger:innen.
On the morning the last Lisbon daughter took her turn at suicide – it was Mary this time, and sleeping pills, like Therese – the two paramedics arrived at the house knowing exactly where the knife drawer was, and the gas oven, and the beam in the basement from which it was possible to tie a rope.
The Virgin Suicides, im Deutschen mit dem weniger poetischen Namen Die Selbstmordschwestern betitelt, verrät schon im Titel und zu Beginn, wie es enden wird – schlüsselt aber nur nach und nach auf, wie es zu den Suiziden kam. Dadurch, dass die Geschichte nicht von den Lisbon-Mädchen selbst, sondern von den Jungen aus ihrer Nachbarschaft und Schule erzählt wird, bleibt uns als Leser:innen die Wahrheit immer verschlossen, alles, was wir lesen, sind Spekulationen und Beobachtungen, die ganz klar den Male Gaze tragen. Cecilia, Lux, Bonnie, Mary und Therese werden von den Jungs und der Gesellschaft kaum als Persönlichkeiten und vielschichtige Individuen betrachtet, sondern als unnahbare und geheimnisvolle Mädchen fetischisiert.
Ihre gläubigen und konservativen Eltern bestimmen das Leben der fünf Schwestern – und schränken es massiv ein. Sie wollen sie beschützen, zeigen ihnen aber gleichzeitig nur wenig bis gar keine Liebe und Zuneigung. In diesem tristen und einsamen Alltag gedeiht bei den Töchtern der gemeinsame Wunsch, ihre Leben zu beenden. Dabei bleiben die Lisbon-Schwestern gleichermaßen faszinierend und rätselhaft, denn es sind die Nachbarn, welche als Chronisten der Tragödie fungieren und so von Anfang bis Ende die Mystifizierung ihrer Schönheit, Jugend und Weiblichkeit aufrechterhalten.
Sie beschreiben die Mädchen als übernatürliche, engelsgleiche, geradezu göttliche Wesen, himmeln sie an, sind nahezu besessen von ihnen, und schaffen es, ihre Faszination auch auf die Leser:innen zu übertragen. Die Distanz der Erzählperspektive und die teilweise emotionslosen Beschreibungen der Ereignisse in Kombination mit der regelrechten Obsession der Jungs für die mysteriösen Schwestern machen die Lektüre zu einem fesselnden, traumgleichen, gleichzeitig aber auch beklemmenden und verstörenden Ereignis.
Mr. Lisbon became the medium through which we glimpsed the girls‘ spirits. We saw them through the toll they exacted on him: his puffy red eyes that hardly opened anymore to see his daughters wasting away; his shoes scuffed from climbing stairs forever threatening to lead to another inert body; his sallow complexion dying in sympathy with them; and his lost look of a man who realized that all this dying was going to be the only life he ever had.
Der Roman fungiert als gesellschaftskritisches Porträt der typischen amerikanischen Kleinstadt und ihrer Einwohner:innen, der vermeintlich gutbürgerlichen Idylle. Messerscharf seziert Eugenides hier die Eintönigkeit, den Starrsinn, die Sensationslust in einer Umgebung, in der nur selten etwas von Bedeutung passiert, sowie die konservativen, spießbürgerlichen Menschen, die hier leben.
Ebenfalls großes Thema ist dabei die unverkennbare Glorifizierung und Romantisierung tragischer Ereignisse und Traumata – genauso wie das kollektive Wegschauen. So viel wird gemunkelt über die angeblichen Gründe, welche die Schwestern zum Suizid bewegten. Eigentlich alle Bewohner:innen der Kleinstadt haben Vermutungen, haben natürlich schon lange bemerkt, dass das etwas nicht stimmt in diesem Haus, und doch hat nie auch nur eine Person konkret ihre Hilfe angeboten oder aktiv versucht, einzuschreiten. Alle sahen, wie die Lisbon-Schwestern zuhause eingesperrt wurden, wie abgeschottet sie waren, und wie sich eine nach der anderen das Leben nahm.
In the end we had the pieces of the puzzle, but no matter how we put them together, gaps remained, oddly shaped emptinesses mapped by what surrounded them, like countries we couldn’t name.
Jeffrey Eugenides Roman The Virgin Suicides liest sich wie ein Traum: atmosphärisch dicht, mitreißend und tragikomisch. Ich hab das Buch in nur wenigen Tagen durchgelesen und konnte es kaum zur Seite legen. Nun habe ich außerdem richtig Lust, endlich mal den Film von Sofia Coppola zu schauen.
