Oyinkan Braithwaites Roman Meine Schwester, die Serienmörderin ist bizarr, düster, rasant und amüsant – und damit beste Unterhaltung für Zwischendurch.
Korede und ihre jüngere Schwester Ayoola haben ein angespanntes Verhältnis: Ayoola ist deutlich hübscher, beliebter, geht völlig egozentrisch und ignorant durchs Leben – und hat ihren dritten Freund ermordet. Trotz ihrer Differenzen hält Korede zu ihrer Schwester und hilft ihr jedes Mal aus. Die Krankenschwester ist geübt darin, blutige Spuren zu verwischen und zeigt ein erstaunliches Talent bei der Beseitigung der Leichen und der Tatortreinigung. Doch die Spannungen zwischen den beiden ungleichen Schwestern werden größer, als Ayoola an Koredes Arbeitsplatz auftaucht und ein Auge auf deren Schwarm, den attraktiven Doktor, wirft. Was ist, wenn er ihr nächstes Opfer wird?
“Ayoola, if you go to jail –“
“Only the guilty go to jail.”
“First of all, that’s not true. Second of all, you killed a man.”
“Defending myself; the judge will understand that, right?” She pats her cheeks with blusher. Ayoola lives in a world where things must always go her way. It’s a law as certain as the law of gravity.
Die nigerianische Autorin Oyinkan Braithwaite hat damit schon eine unglaublich morbide Ausgangssituation geschaffen, die viel Potenzial bietet. Und obwohl sie vollkommen unrealistisch und absurd ist, ist es doch möglich, sich als Leser*in mit der Protagonistin zu identifizieren. Zu nervtötend und unangebracht verhält sich Ayoola, zu respektlos und ich-bezogen, wenn sie unbekümmert und naiv, ja, einfach rücksichtslos alle nach ihrer Pfeife tanzen lässt. Korede, als „normalere“ der beiden Schwestern, arbeitet als Krankenpflegerin und hat einen ziemlichen Putzfimmel, der ihr mit einer solch unberechenbaren Schwester allerdings zu Gute kommt. Schon bevor Ayoola ihr einen Überraschungsbesuch im Krankenhaus abstattet und sich in einen der Ärzte, Koredes Schwarm Tade, verguckt, spitzt sich die Situation zwischen den beiden immer weiter zu. Doch als plötzlich Tades Leben auf dem Spiel steht, wird Korede panisch: Was ist, wenn sie sich zwischen ihm und Ayoola entscheiden muss?
Dennoch steht Korede in der ganzen Zeit voll und ganz hinter ihrer Schwester. Hindert sie daran, unangemessene Fotos und Videos bei Instagram und Snapchat hochzuladen, während sie doch eigentlich die trauernde Freundin für die Öffentlichkeit spielen muss. Glaubt ihr, wenn Ayoola behauptet, nur aus Notwehr gehandelt zu haben – beim ersten, beim zweiten und auch beim dritten Mord. Blut ist in dieser Familie dicker als Wasser, vor allen Dingen, wenn einen die Vergangenheit so sehr zusammengeschweißt hat. Die Dynamik der beiden Schwestern ist interessant, unterhaltsam und trotz der skurrilen Umstände äußerst glaubwürdig.
I twist my head to get another look at Muthar. He is at peace, and I envy him. Every time I close my eyes I see a dead man. I wonder what it would be like to see nothing again.
Braithwaite hat einen düsteren und makabren Roman geschaffen, der zwar amüsant, aber nicht zum Schreien komisch ist. Vom Vibe her hat er mich etwas an Amélie Nothomb und die Kurzgeschichten Yoko Ogawas erinnert – Fans dieser beiden Autorinnen könnten also durchaus gefallen an Meine Schwester, die Serienmörderin finden. Ayoolas Morde und die anschließenden Aufräumarbeiten werden als wunderbar normal und unbeschwert dargestellt und die Dialoge sind scharfzüngig und geistreich, wenn auch nicht auf demselben extrem hohen Niveau wie bei Nothomb.
Sehr kurze und knackige Kapitel von je 2 bis 3 Seiten sowie die klare und moderne Sprache haben mich nur so durch die Seiten fliegen lassen, vor allem, je weiter ich in dem Roman kam. Das Leben in Nigeria und die heimische Kultur nehmen keinen großen Stellenwert ein, werden aber hier und da in die Geschichte verwoben und tragen so zu der Atmosphäre des Romans bei. Anscheinend hat das Ende viele Leser*innen gespalten zurückgelassen, wenn man sich Rezensionen und Beiträge dazu ansieht. Auch laut unserer Instagram-Umfrage waren rund 3/4 nicht zufrieden mit den letzten Seiten des Romans. Ich persönlich jedoch fand es großartig und perfekt passend – es ist konsequent und in Anbetracht der vorher geschehenen Ereignisse überaus angemessen.
We should really have sold the piano, too. I swipe my finger across the lid, making a line in the dust. My mother sighs and walks away, because she knows I won’t be able to rest until there is not a speck of dust on the piano’s surface. I head to the supply cabinet and grab a set of wipes. If only I could wipe away all our memories with it.
Oyinkan Braithwaite hat mit Meine Schwester, die Serienmörderin ein herrlich abstruses und makabres Buch geschrieben, durch das man nur so hindurchrast. Mit etwas mehr als 200 Seiten ist es ein kurzes, aber intensives Lesevergnügen über zwei ungleiche Schwestern und ihre enge Bindung. Bitterböse, packend und sehr eigensinnig ist dies kein klassischer Krimi/Thriller, kann aber trotzdem, oder auch gerade deswegen überzeugen.
“You’re not the only one suffering, you know. You act like you are carrying this big thing all by yourself, but I worry too.”
“Do you? ‘Cause the other day, you were singing ‘I believe I can fly’.”
Ayoola shrugs. “It’s a good song.”