Heinrich Böll – Die verlorene Ehre der Katharina Blum

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Die Macht der Boulevard-Presse

Katharina Blum ist eine junge hübsche Frau, die als Haushälterin arbeitet. Von ihrem Lohn kann sie sich eine Eigentumswohnung und einen Volkswagen leisten. Ihr Wesen ist heiter-bescheiden und da sie Zudringlichkeiten von Männern ablehnt, wird sie auch als „Nonne“ bezeichnet. Widererwarten verliebt sie sich spontan in einen Mann, der allerdings polizeilich gesucht wird. Nachdem sie ihm zur Flucht verholfen hat und von der Polizei befragt wird, gerät sie in den Mittelpunkt der Berichterstattung einer großen Boulevardzeitung.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum oder: Wie Gewalt entstehen und wohin sie führen kann, ist eine bekannte Erzählung des 1985 verstorbenen Schriftstellers Heinrich Böll. Gerade in Zeiten des Internets ist Diffamierung, Mobbing und Verleumdung ein weiterhin aktuelles Thema, das auch unter dem Begriff ‚Medienterror‘ diskutiert wird. Heinrich Böll selbst hatte einige Auseinandersetzungen mit der Boulevardpresse, insbesondere mit der Bild-Zeitung. In einem Interview sagte er 1974:

„Die Gewalt von Worten kann manchmal schlimmer sein als die von Ohrfeigen und Pistolen.“

Anfang 1972 schrieb Böll den Artikel Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?, der im Spiegel veröffentlich wurde. In diesem wandte er sich gegen „unlautere Formen journalistischer Berichterstattung durch Entstellung und verschweigen“, die im Hinblick auf die Baader-Meinhof-Gruppe um sich gegriffen hätten. Böll warb hier nicht um Sympathie, sondern forderte eine faire Behandlung. Daraufhin kam es zu Diffamierungskampagnen gegen Böll von Seiten des Springer-Konzerns. Zwei Jahre später veröffentlichte Böll seine Erzählung Die verlorene Ehre der Katharina Blum, in der er seine eigenen Erfahrungen mit der Boulevard-Presse verarbeitet und sich gleichzeitig am Fall des Hochschullehrers Peter Brückner orientierte. Dieser wurde aus dem Dienst suspendiert, da er verdächtigt wurde, Angehörigen der Baader-Meinhof-Gruppe Unterschlupf gewährt zu haben. In den Medien wurde er daraufhin zur „Unperson“ erklärt, was zur Folge hatte, dass sich Brückner mit anonymen Anrufen und Drohbriefen konfrontiert sah und sozial isoliert wurde. Außerdem wurde 1974 die Wohnung von Bölls Sohn Raimund durchsucht, als sein gestohlener Wehrpass in einer konspirativen Wohnung gefunden wurde. Die Wohnungsdurchsuchung wurde allerdings bereits einige Stunden vor ihrem Stattfinden von der B.Z. (Springer) gemeldet, was auf eine Zusammenarbeit von Polizei und Presse hindeutet.

Aus seinen Erfahrungen entwickelt Böll eine fiktive Geschichte, in der sich eine eigentlich unbescholtene junge Frau in einen Verbrecher verliebt und diesem zur Flucht verhilft, was wiederum zu ihrer Verhaftung führt. In der Presse, vor allem der ZEITUNG wird sie daraufhin Opfer diffamierender Berichterstattung. In der Vorbemerkung schreibt Böll:

„Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“

Die ZEITUNG berichtet fortlaufend über Katharina. Dabei stellt sie infrage, wie Katharina sich als siebenundzwanzigjährige Haushälterin eine Wohnung und einen Volkswagen leisten kann, gibt ihr die Schuld am Tod ihrer Mutter und ordnet sie ins politisch linke Spektrum ein, schon ihr Vater sei ein „verkappter Kommunist“ gewesen. Ebenso werden Teile ihres Umfelds, etwa ihre Arbeitgeber die Blornas als ‚links‘ bezeichnet. Das Bild, das in der ZEITUNG von Katharina entsteht, unterscheidet sich deutlich von ihrem Selbstbild und den Beschreibungen ihrer Freunde. Sie ist eigentlich fleißig, eher unpolitisch und keineswegs intellektuell. In sexuellen Dingen wird sie von Freunden als prüde und empfindlich beschrieben, was eben zur Bezeichnung der ‚Nonne‘ führt. Im Verhör will sie über Herrenbesuche aus Gründen der Diskretion und aus Scham nicht sprechen. Die ZEITUNG bringt daraufhin die Schlagzeile: „RÄUBERLIEBCHEN KATHARINA BLUM VERWEIGERT AUSSAGE ZU HERRENBESUCHEN“. Auch ihr Charakter wird völlig verdreht, aus dem netten Mädchen von nebenan wird hier eine Frau, „die durchaus des Verbrechens fähig“ ist und dabei „so eine richtig nuttige Art“ an den Tag legt. Reporter der ZEITUNG geben zudem auch offen zu, dass sie sogenannte „Artikulationshilfen“ leisten. So wird aus der Aussage „Katharina ist eine sehr kluge und kühle Person“ der Schluss gezogen, sie sei „eiskalt“ und „berechnend“. Im fortschreitenden Verlauf der Berichterstattung wird insbesondere auf ihren angeblich linkspolitischen Hintergrund Bezug genommen und sie als „linkslastige Hure“ bezeichnet.

Alle Fakten, die diesem von der ZEITUNG entworfenen Bild widersprechen, werden konsequent ignoriert und verschwiegen. Dass sie ihre Wohnung über Ersparnisse und Darlehen finanzieren kann, wird trotz Kenntnis dieser Sachlage nicht berichtet und stattdessen suggeriert, sie habe die Wohnung aus der Beute eines Bankraubs erworben. Katharina wird aufgrund der Berichte in der ZEITUNG immer mehr isoliert. Zwar berichten andere Zeitungen objektiv über die Vorgänge, aber ihr eigenes Umfeld übernimmt das Bild der ZEITUNG, was dazu führt, dass sie sozial geächtet wird. Dazu kommen sexuelle Belästigungen von anonymen Anrufern und „derbe sexuelle Offerten“ sowie „politische Beschimpfungen“ in Briefen. Da die ZEITUNG immer ihren vollen Namen nennt, ist ihr Wohnort längst kein Geheimnis mehr. Als sie von Seite des Staates auch keine Hilfe erhält, denn Polizei und Justiz arbeiten mit der Presse zusammen, weiß sie sich nicht mehr zu helfen und wird letztlich wirklich zur Mörderin. Der Mord an dem Journalisten macht sie schlussendlich zu derjenigen, die sie in den verfälschten Artikeln von vornherein war: eine Mörderin und Verbrecherin. Sie zerbricht an der Sensationsgier.

Bölls Ziel, zu zeigen welche Folgen die Berichterstattung für einen ‚Normalbürger‘ hat, der sich nicht wehren kann, erreicht er eindrucksvoll. Obwohl von vornherein klar ist, wie die Erzählung endet, ist sie trotzdem spannend. Die geschilderten journalistischen Praktiken zeichnen ein abstoßendes Bild der ZEITUNG, die Katarina und ihre wenigen Unterstützer mit ihrer Kampagne in die Isolation treibt. Katharina muss tatenlos zusehen, wie sie die Kontrolle verliert und dem Medienterror völlig hilflos ausgeliefert ist.

Auch nach der Veröffentlich musste Heinrich Böll weiterhin viel Kritik von Seiten einiger Zeitungen hinnehmen. So schrieb die Welt 1978 mit Blick auf die Erzählung Katharina Blum: „Zweifellos hat Böll zur Hoffähigmachung der Bande [RAF] mehr beigetragen als irgend jemand. Und zu ihrer Ermutigung. Sein Buch schildert in der empfehlendsten Weise, wie ein ‚Bild‘-Reporter ermordet wird.“ Zudem wurde teilweise darauf verzichtet, die Bestseller-Liste zu drucken, da sonst Bölls Katharina Blum erwähnt worden wäre.

5 comments

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  1. Leseseiten

    Das Buch hat an Aktualität bis heute wirklich nichts verloren. Ich war bei der Erstlektüre (1987) so beeindruckt, dass ich mich für das Leben und Wirken von Heinrich Böll intensiv interessierte. Nicht nur die Hintergründe zu der Erzählung sind ein Sück deutscher Zeitgeschichte, sondern auch Bölls Erinnerungen über seine Erfahrungen als Soldat im 2.Weltkrieg und seine Prosa zur Nachkriegszeit. Ein Autor, der mal das „Gewissen“ der Bundesrepublik genannt wurde und durch sein Einmischen in die aktuelle Politik oft öffentliches Aufsehen erregte. Zu seinem 100. Geburtstag in diesem Jahr gibt es eine Reihe von Veranstaltungen und die Erstveröffentlichung seines Kriegstagebuchs.

    Ich möchte noch auf etwas hinweisen: Die genannte „Berliner Zeitung“ im Text ist vermutlich die zu Springer gehörende „B.Z.“ . Nicht zu verwechseln mit der in Ost-Berlin erscheinenden – und heute noch existierenden – „Berliner Zeitung“. Das Boulevardblatt „B.Z.“ wurde 1877 als „Berliner Zeitung“ gegründet, allerdings 1904 bzw. 1953 in B.Z. umbenannt.

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    • letusreadsomebooks

      Ich muss gestehen, dass Katharina Blum der erste Roman war, den ich von Böll gelesen habe. Jetzt geht es mir ähnlich, ich bin so beeindruckt, dass ich gerne mehr über seine Person wissen möchte und mit Sicherheit weitere Romane lesen werde. Gibt es besonders empfehlenswerte?Vielen Dank für die Hinweise bezüglich der B.Z. und den Veranstaltungen bezüglich des 100. Geburtstags.

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      • Leseseiten

        Bölls Katharina Blum ist sprachlich und strukturell eine Ausnahme in seinem Werk. Deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass seine Bücher heute für viele sprachlich anstrengend und altmodisch wirken. Man muß sich darauf einlassen, es waren andere Zeiten und Böll ist sicherlich nicht der genialste Stilist. Dafür konnte er neben den ernsten Kriegsthemen auch als Satiriker und Humorist überzeugen. Als Empfehlung, gerade jetzt im Sommer, „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ und sein wunderbares „Irisches Tagebuch“. Von den Romanen beeindruckten mich die frühen besonders: „Wo warst du, Adam?“, „… und sagte kein einziges Wort“ und „Haus ohne Hüter“. Viele seiner Erzählungen lohnen sich ebenfalls, etwa „Das Brot der frühen Jahre“. Es gibt einen gebundenen Sammelband zum kleinen Preis. Viel Spaß beim Entdecken! (Ist jetzt ganz schön viel geworden…. vielleicht sollte ich mal etwas zu Böll auf meinem Blog machen?)

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