Ilka Piepgras (Hg.) – Schreibtisch mit Aussicht

Schreibtisch mit Aussicht Ilka Piepgras Rezension

Ilka Piepgras gewährt in ihrem Buch Schreibtisch mit Aussicht – Schriftstellerinnen über ihr Schreiben spannende und inspirierende Einblicke in das Schaffen von 24 Autorinnen.

Was ist Inspiration? Meines Erachtens ständige Wachsamkeit. Ständig Ausschau halten nach Material, Tag und Nacht, wach und im Schlaf.
– Hilary Mantel

In 24 Texten berichten sowohl deutsche als auch internationale Autorinnen über Ihren Alltag. Es geht unter anderem um das Schreiben im Flow, das Schreiben zwischen Job, Haushalt und der Erziehung eines Kleinkinds, das Schreiben im Schatten des wesentlich erfolgreicheren Partners. Ebenso thematisieren sie Vorurteile, mit denen schreibende Menschen, aber vor allem schreibende Frauen zu kämpfen haben und die Benachteiligungen im Alltag und im Literaturbetrieb. Aber auch ganz allgemein erzählen sie vom Lesen und den Bücher selbst, und der Freude, die sie uns bringen.

Als ich meinen Job kündigte, um zu schreiben, sagten meine ehemaligen Kollegen: „Ach so, du willst Zeit mit deinem Kind verbringen.“ Und ich sagte: „Nein, ich will schreiben.“ Und sie sagten: „Das ist schön. Dann verbringst du Zeit mit deinem Kind.“ Und ich sagte: „Nein, ich will arbeiten.“
– Leïla Slimani

Die von der Autorin und ZEITmagazin-Redakteurin Ilka Piepgras zusammengestellten Texte bieten eine abwechslungsreiche Sammlung über das Schreiben in all seinen Facetten. Wer selbst schreibt, dürfte die Kapitel vor allem deswegen interessant und inspirierend finden, weil sie einen sehr privaten Einblick in das Leben der Schriftstellerinnen erlauben und uns ermöglichen, viel über den Schreibprozess, die Routinen und das ganze Drumherum mitzunehmen. Aber auch sonst bereitet das Büchlein viel Freude, immerhin lernen wir hier weltberühmte Autorinnen näher kennen und bekommen einen oft gewünschten Blick hinter die Kulissen, den es vor allem aus weiblicher Sicht selten gibt.

Auf Veranstaltungen antworte ich meistens, dass ich zwar nicht genau wisse, was Frauenliteratur sei, aber wenn damit die Texte von Virginia Woolf, Jane Austen, Toni Morrison, Emily Brontë, Jeanette Winterson und Elfriede Jelinek gemeint seien, dann hoffte ich sehr, dass mein Buch Frauenliteratur sei.
– Katharina Hagena

Ilka Piepgras Schreibtisch mit Aussicht Rezension

In Schreibtisch mit Aussicht versammeln sich Essays, ein Interview sowie Kolumnen gleichermaßen. Hier berichten berühmte und talentierte Frauen wie Joan Didion, Elfriede Jelinek, Zadie Smith, Sibylle Berg, Meg Wolitzer, Siri Hustvedt, Deborah Levy, Elena Ferrante, Hilary Mantel, Elif Shafak und weitere über ihren kreativen Schaffensprozess, ihre Herausforderungen und das, was sie antreibt. Die Thematisierung von Sexismus ist genauso präsent wie die Erwähnung von Versagensängsten, Neid, Schreibblockaden, literarischen Vorbilder und dem täglichen Kampf, den das Schreiben bedeutet.

Das ist bujdosás. Nicht nach Hause zu können. Aber wir, du und ich, haben ein Zuhause und wir können auch jederzeit darin wohnen. Deins heißt bis auf Weiteres Mama-Papa-Berlin, und meins heißt Literatur, aber das erkläre ich dir irgendwann später.
– Terézia Mora

Nicht alle Texte fand ich gleichermaßen herausragend, aber das ist bei einer Sammlung von 24 vermutlich auch nicht möglich. Die meisten von ihnen waren spannend, manch einer erheiternd (Katharina Hagenas Text war unheimlich witzig und gut geschrieben, dabei haben mich die Romane der Autorin nie interessiert – also wieder was dazugelernt!), andere intellektuell bereichernd und sprachlich beeindruckend (Elif Shafak! Mensch, sind das Formulierungen! Hier hätte ich ein Zitat nach dem anderen herausschreiben können.). Drei oder vier der Texte waren für mich persönlich weniger interessant und sind ein bisschen untergegangen, aber im Großen und Ganzen war es ein Vergnügen, mich häppchenweise in das Leben und Schaffen dieser Schriftstellerinnen einzulesen.

Um zu überleben und zu wachsen, braucht der Mensch einen inneren Garten. Eine persönliche Wildnis, die niemand sieht. Einen Ort, den wir häufig und unbehelligt besuchen können; einen unmittelbaren Rückzugsort, um uns zu entgiften, negative Gedanken und schädliche Gefühle loszuwerden, unsere Wunden zu lecken und uns wieder aufzubauen; einen Platz, an dem wir reinen Herzens sein können, ohne zu urteilen oder beurteilt zu werden. Dieser schöne Ort ist das Land der Geschichten für mich. Das Land der Bücher.
– Elif Shafak

Mit ihrem Buch Schreibtisch mit Aussicht bietet Ilka Piepgras 24 großartigen Autorinnen eine Plattform, über das weibliche Schreiben in all seinen Facetten zu sprechen. Sie alle schreiben in ihren Essays an gegen die Unterrepräsentation von Frauen im Literaturbetrieb, gegen männliche Privilegien und gegen stereotype Rollenklischees. Ein Buch, das die Autorinnen dieser Welt feiert und eine spannende Diversität an Perspektiven und Erfahrungen offenbart. Erhellend, schockierend, unterhaltsam, inspirierend.

Ein interessantes Interview mit Ilka Piepgras findet ihr übrigens bei Nacht und Tag.

3 Kommentare

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  1. Bücherflocke

    Danke für diesen Tipp! Das klingt sehr interessant. (Ich will auch einen inneren Garten und eine persönliche Wildnis! Wo sind sie? WO??) Ein Gedanke dazu: Ich frage mich immer, was die Welt der Bücher für AutorInnen tatsächlich bringt. Denn eigentlich glaube ich schon, dass, wer selbst schreiben möchte, auch schnell zuviel lesen kann – Texte von anderen, Formulierungen von anderen, statt selbst produktiv zu werden. Vielleicht schreibe ich mal was dazu:-)
    Herzliche Grüße, die Flocke

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