Karl Ove Knausgård – Aus der Welt

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Karl Ove Knausgårds Debütroman Aus der Welt zeigt trotz einiger Längen bereits das Können des norwegischen Autors, der heute, knapp zwanzig Jahre später, weltweit bekannt ist.

Karl Ove Knausgård ist mit seinem sechsteiligen autobiografischen Romanprojekt Min Kamp über die Grenzen seiner Heimat bekannt geworden. Sein Debütroman Aus der Welt wurde nun endlich auch ins Deutsche übersetzt. Darin erzählt er die Geschichte des Aushilfslehrers Henrik, der sich im norwegischen Norden in eine 13-jährige Schülerin verliebt. Nachdem er sie verführt hat, flieht er Hals über Kopf nach Kristiansand.

Nach seiner Flucht rekonstruiert der als Ich-Erzähler fungierende Henrik seine Jugend und das Kennenlernen seiner Eltern, um herauszufinden, wie er die Person werden konnte, die er nun ist. Viele der hier erzählten Aspekte gleichen sich stark mit den Themen, die der Autor bereits in seinem bekannten Zyklus verarbeitet hat. Knausgård selbst hatte einen Alkoholiker zum Vater, war in Nordnorwegen als Aushilfslehrer beschäftig und ist in Kristiansand aufgewachsen. Er stellt allerdings klar, dass es sich bei dem geschilderten Missbrauch um reine Fiktion handelt. Dennoch dürften die vielen Parallelen Knausgård-Lesern mehr als bekannt vorkommen.

Manchmal schloss ich nachts die Schule auf, ging durch das flache, unbeleuchtete Gebäude, betätigte dabei einen Lichtschalter nach dem anderen und sah, wie das Licht die Dunkelheit über mir aufriss, als wäre ein Schwarm schlummernder Insekten geweckt worden und schwärmte nun gereizt in die Räume aus.

Den Großteil des Romans nehmen die Reflexionen der eigenen Jugend und das Heraufbeschwören dieser Erinnerungen ein. Mit deren Hilfe versucht Henrik sein Verhalten und das Verlangen nach der minderjährigen Schülerin zu erklären. Sein Begehren macht ihm zwar Sorgen, gleichzeitig lässt er sich davon nicht von seinen Annäherungsversuchen abhalten. In seiner Konstruktion ist Aus der Welt gut gelungen. Die verschiedenen Episoden wirken teilweise wie Spiegel aufeinander. Etwa Henriks Geschichte mit der Schülerin und die seiner eigenen Eltern. Daneben finden sich einige poetologische Einschübe.

Im Gegensatz zu Knausgårds späteren Werken wirkt der Roman deutlich roher und hätte wohl die eine oder andere Kürzung durchaus gut vertragen können. Immer wieder verliert sich der Erzähler im etwas wahllos wirkenden Protokollieren seines Lebens. Dafür bietet ihm der Umfang auch Freiheiten, wie etwa Henriks Traum, der ihn in eine Art Paralleluniversum führt, wo er auf Immanuel Kant und Dante trifft.

Aber es war geschehen. Es führte kein Weg zurück. Es musste kommen, wie es gekommen ist, dachte ich und legte mich auf den Rücken, zog das Oberbett unter das Kinn und starrte an die Decke.

Vieles von dem, was seine spätere Reihe ausmacht, ist bereits in Knausgårds Debüt Aus der Welt angelegt: das ausufernde Erzählen, das Betrachten von kleinen Details und die Beschäftigung mit sehr persönlichen Themen. Dennoch hätte dem Roman die eine oder andere Kürzung gut getan. Immer wieder kommt es zu essayistischen Einschüben, die allerdings inhaltlich nicht überzeugen können und Henriks verliert sich in Erinnerungen oder Beschreibungen von Ereignissen, die dann doch nicht so interessant sind, wie er vielleicht meint.

Allerdings sind dem Roman auch der unbedingte Wille, etwas zu schreiben und ein großer Elan anzumerken, mit dem Knausgård hier zu Werke ging. Gerade in den stimmungsvollen Beschreibungen Nordnorwegens und deren Einfluss auf Henrik ist sein ganzes Können bereits spürbar und hier springt der Elan auch auf den Leser über. So macht es trotz der Längen Spaß, Aus der Welt zu lesen und Knausgård bei seinem Eintritt in sein Autorenleben zu begleiten.

Vielleicht beschreiben seine eigenen Worte den Roman doch am besten: „Dieses Buch ist für mich Ausdruck literarischer Freiheit. Und danach strebe ich bis heute. Nichts planen, nicht nachdenken, einfach schreiben und dem folgen, was da entsteht. Seit meinem Debüt habe ich gewusst, dass es einen Ort für mich und mein Schreiben gibt. Für den Leser ist mein erstes Buch dagegen vielleicht einfach zu viel des Guten.“

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