Deborah Feldman – Unorthodox

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Deborah Feldman gewährt Einblicke in eine verschlossene Welt: In Unorthodox berichte sie von ihrem Leben in einer ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde mitten in New York und wie sie es geschafft hat, sich zu lösen, um ihrem Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen.

Deborah wächst in der chassidischen Satmar-Gemeinde in Williamsburg, New York, auf. Hier herrschen die strengen Regeln einer ultraorthodoxen jüdischen Gruppe. Deborah Feldman erzählt von den Vorschriften, denen sie sich unterwerfen musste, von Ausgrenzung, von der Unterdrückung der Frau und von ihrer Zwangsehe. Doch sie berichtet auch, wie sie es geschafft hat, die Gemeinde zu verlassen, mit dem Ziel, sich und ihrem Sohn ein Leben ohne religiöse Regeln und Vorschriften zu verschaffen.

Deborah Feldmans autobiografischer Bericht Unorthodox erschien bereits 2012 in den USA und wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem Millionen-Bestseller. Heute lebt die Autorin in Berlin, wo sie nach eigener Aussage eine neue Heimat gefunden hat. Wie und warum sie ihre alte Heimat, das Viertel Williamsburg in New York, verlassen hat, darüber schreibt sie in Unorthodox. Hierbei handelt es sich nicht um Fiktion, sondern um ihre wahre Geschichte. Dass jemand die Gemeinde verlässt, geschieht nur äußerst selten, gerade bei Frauen. Ebenso ungewöhnlich ist es, dass Aussteiger über ihr Leben und ihre Erfahrungen berichten.

Wir lernen in der Schule, Gott habe Hitler gesandt, um die Juden dafür zu bestrafen, sich selbst erleuchtet zu haben. Er kam, um uns zu reinigen, um alle assimilierten Juden zu vernichten, alle frejen Jidden, die dachten, sie könnten sich selbst vom Joch, die Auserwählten zu sein, befreien. Nun büßen wir für deren Sünden.

Die Welt, in die Deborah geboren wird, ist geprägt von Traditionen und strengen Regeln. Hier wird fast ausschließlich jiddisch gesprochen und viele Mitglieder können kaum oder gar kein Englisch, mitten in einer Stadt wie New York. Eine der wichtigsten Grundsätze ist es, sich ständig fortzupflanzen, um die jüdischen Opfer des Holocaust zu ersetzen. Verhütung ist verboten. Deborah wächst bei ihren Großeltern auf. Ihre wird erzählt, dass ihre Mutter sie früh verlassen hat und eine Nichtjüdin (Goyim) geworden ist – erst später erfährt sie, dass ihre Mutter lesbisch ist. Ihr Leben richtet sich nach den Regeln, welche von den Rabbinern vorgesehen werden, in denen der Glaube an erster Stelle steht. Es ist immer möglich, sein Leben noch gläubiger und noch gottesfürchtiger zu gestalten. Frauen dürfen ihre Haare nicht zeigen, weshalb sie sich die Köpfe rasieren und Perücken tragen. Die Ehepartner werden von der Familie ausgesucht, Selbstbefriedigung und Verhütung ist untersagt und auch das Sexualleben ist gemäß dem Beruf des Ehemanns geregelt. So darf Deborahs Mann als Tora-Student jeden Freitag mit ihr schlafen. Diese Welt legt sich wie eine Hülle um die Gemeinde und schottet sie von allen äußeren Einflüssen ab.

In unserer Gemeinde sind sichtbare Zeichen der Frömmigkeit besonders wichtig. Wir müssen zu jeder Zeit fromm erscheinen, um wahre Vertreter Gottes zu sein. Erscheinungsformen sind alles; sie besitzen die Macht zu beeinflussen, wer wir im Innern sind, sie bedeuten der Außenwelt aber auch, dass wir anders sind, dass sie Abstand halten müssen.

Schon früh bemerkt Deborah, dass scheinbar etwas nicht mit ihr stimmt. Sie sehnt sich nach Bildung und weltlichen Büchern, beides wird ihr den Regeln nach verwehrt. So geht sie heimlich in die Stadtbibliothek und leiht sich Bücher aus, die sie unter der Matratze versteckt und heimlich liest, etwa von Jane Austen. Nach und nach erzählt sie, wie sie sich immer mehr gegen die Regeln sträubt, ihnen widersprechen will, sie hinterfragt und sich insgeheim ein anderes Leben wünscht. Die Schilderungen der Autorin gehen nahe, sie zeigt schonungslos, wie sie sich den religiösen Sitten unterwerfen muss, um die Ehre der Familie nicht zu beschmutzen. Dabei gibt sie sowohl von sich als auch ihr nahestehenden Personen intime Details preis und erzählt von höchst persönlichen Ereignissen und Situationen. Kaum vorstellbar, wie solch eine Gemeinde mitten in New York existieren kann und kaum etwas nach außen dringt, während sie sich gleichzeitig so gegen Einflüsse abschottet und ihre Mitglieder scheinbar vor weltlichen Dingen schützt. Besonders Frauen haben kein Recht auf ein selbstbestimmtes Leben innerhalb der Gruppe und teilweise entsteht der Eindruck, dass sie nur Gebärmaschinen sind. Dabei stellt  die Autorin die ihr nahestehenden Personen, wie ihre Großeltern, ihre Tanten, ihre Schwiegereltern und ihren Ehemann immer als Menschen dar. Sie erscheinen als Personen, die ihr Leben nach religiösen Vorschriften ausrichten, dabei aber nicht mit Absicht schlecht handeln und davon ausgehen, für Deborah nur das Beste zu tun.

Ich wünschte, ich könnte einfältig genug sein, zu glauben, dass mein Ehemann mich für mehr als nur die plumpe Lust wertschätzt, die mein Körper ihm verschafft.

Aus der Ich-Perspektive liefert Deborah Feldman tiefe Einblicke in diese Welt, die von außen nicht zugänglich ist. Ihre Schilderungen sind intensiv, häufig beklemmend und machen fassungslos. Wie etwa der Vater, der seinen Sohn beim Masturbieren erwischt und ihn ermordet – was aber von der Gemeinde vertuscht wird, da der Sohn so schwer gesündigt hat. Ihren Weg, sich über die Bildung zu befreien, stellt die Autorin glaubhaft und nachvollziehbar dar. Sie studiert heimlich an einem College und beginnt zu schreiben und kann ihren Mann von einem Umzug in ein nicht so strenges Viertel überzeugen. Dabei schreckt sie auch nicht davor zurück, viele persönliche Details aus ihrem Leben darzustellen, gerade was das Sexualleben mit ihrem Mann und die Umstände der Geburt ihres Sohnes angeht. Angenehm ist zudem der Stil, der sehr direkt und dabei ebenso um Klarheit bemüht ist. Ein mutiges und persönliches Buch einer jungen Frau, die für sich selbst und ihr Kind kämpft und den Mut gefunden hat, auszusteigen und ihren Lesern einen Blick auf ihre Herkunft zu gewähren.

Nicht verwunderlich ist, dass Deborah Feldmans Buch nach seiner Veröffentlichung auch Reaktionen aus Williamsburg provoziert hat. So schreibt etwa eine Frau, die angibt, dass sie mehrere Jahre mit Feldman befreundet war, dass ihr Studium alles andere als geheim war und äußert auch weitere Kritik an Unorthodox. Eine Zusammenfassung von verschiedenen Positionen und Einschätzungen, könnt ihr hier finden.

4 Kommentare

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  1. nettebuecherkiste

    Das Buch will ich demnächst lesen! Von der Kritik wusste ich noch gar nichts, aber ich habe mal einen Roman über das Thema von einer anderen Aussteigerin aus der chassidischen Gemeinde gelesen (The Romance Reader von Pearl Abraham), von daher kann ich mir schon vorstellen, wie schwierig der Ausstieg war.

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    • letusreadsomebooks

      Dann bin ich mal gespannt wie es dir gefällt. Ich finde es sehr schwer die Vorwürfe einzuschätzen, die gegen sie erhoben werden. Bei dem was sie schreibt über die Gemeinde schreibt, ist es denke ich schon zu erwarten, dass da auch Gegendarstellungen kommen. Den Blogbeitrag, in dem sie selbst dazu Stellung nimmt, scheint leider nicht mehr abrufbar zu sein.

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      • nettebuecherkiste

        Ich werde mal berichten, ob es sich mit dem deckt, was ich in dem anderen Buch gelesen habe. Wobei dort nicht der Ausstieg an sich geschildert wird, sondern die Lebensweise.

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