Philip Roths Verschwörung gegen Amerika beschäftigt sich mit der Frage „Was wäre, wenn…?“, am Ende verliert der Roman aber den Mut.
Bei den Präsidentschaftswahlen 1940 verbucht Charles Lindbergh einen eindeutigen Sieg gegen Franklin D. Roosevelt. Lindbergh, der bereits von Hitler mit einem Orden geehrt wurde, schließt mit den Nationalsozialisten einen Nichtangriffspakt. Währenddessen hat der siebenjährige jüdische Junge Philip Roth in Newark Alpträume und muss die Ohnmacht seines Vaters gegenüber dem politischen Geschehen erleben. Gleichzeitig kommt sein Bruder völlig verändert von seinem Sommeraufenthalt bei christlichen Farmern zurück, der Cousin geht nach Kanada, um gegen die Deutschen zu kämpfen und die Tante heiratet einen einflussreichen Rabbiner, der mit der neuen Regierung zusammenarbeitet. Am schlimmsten trifft es aber die Nachbarn der Roths, an deren Schicksal Philip nicht unschuldig ist.
In seinem 2004 veröffentlichen Roman Verschwörung gegen Amerika geht der Autor Philip Roth der Frage „Was wäre gewesen, wenn…?“ nach. Es handelt sich um einen Roman, der einen anderen möglichen Geschichtsverlauf präsentiert. Interessant ist auch, dass die Geschichte aus der Sicht des siebenjährigen Philip Roth erzählt wird, der 1940 in Newark aufwächst, genau wie der Autor. Bereits in diesem jungen Alter ist sich Philip der politischen Situation bewusst und hat als Kind von jüdischen Eltern Angst um seine Zukunft. Während der Vater noch von einem Wahlsieg Roosevelt überzeugt ist, lebt die Familie nach dessen Niederlage und der Ernennung Lindberghs zum Präsidenten in Furcht. Lindbergh war bekannt für seinen Rassismus, Antisemitismus und seine Bewunderung Hitlers. Eine von ihm im Jahr 1941 gehaltene Rede, in der er den Juden vorwirft, aus Eigeninteresse die USA in den Krieg treiben zu wollen, verlegt Roth ins Jahr 1940, in die Zeit des Wahlkampfes und lässt Lindbergh so zum Kandidaten der Republikaner werden. Nach seinem Sieg verfolgt Lindbergh eine streng isolationistische Politik. Gegenüber den amerikanischen Juden strebt er ein Umerziehungsprogramm an, das vor allem bei den Kindern ansetzt und dafür sorgen soll, Juden in die Gesellschaft „einzugliedern“.
Die Einzigen, die gegen ihn sind, sagten die Leute, sind die Juden. Und das stimmte ja auch in Amerika. Die Juden konnten immer nur jammern. Unsere Ältesten stellten auf der Straße unaufhörlich Spekulationen an, was die uns antun würden, auf wen wir uns als Beschützer noch verlassen sollten und wie wir uns selber schützen könnten.
Die durch den Wahlsieg Lindberghs eintretenden gesellschaftlichen Veränderungen zeigt der Roman anschaulich am Beispiel der Familie Roth. Die ersten antisemitischen Anfeindungen erleben sie bei einem Kurzurlaub in Washington kurz nach der Wahl. Doch auch innerhalb der Familie wird der Zusammenhalt immer schwieriger. Die Tante heiratet ausgerechnet einen Rabbiner, der mit Lindbergh eng vertraut ist und diesen öffentlich unterstützt. Für Philips Vater völlig unverständlich. Philips Bruder kommt dazu verändert aus dem Sommer-Camp zurück, wo er auf einer Farm gearbeitet hat und das ‚richtige‘ Amerika kennengelernt hat. In kurzer Zeit wird er durch den Einfluss der Tante zum Aushängeschild des Programms. Philips Vater gehört zu denenigen, die Lindbergh nicht trauen und das Schlimmste befürchten. Durch Philip wird diese Angst greifbar, obwohl er noch ein Kind ist, besitzt er ein gutes Gespür für die Situation: Die Angespanntheit des Vaters, der beim Abendbrot die neuesten Entwicklungen kommentiert und die Nervosität der Mutter, die heimlich Geld spart, um mit der Familie nach Kanada zu flüchten. Philip Roth gelingt es glaubwürdig, die eintretenden Veränderungen darzustellen. Zunächst nur kleine Veränderungen im Verhalten, die immer größer werden, aber nach und nach das Zusammenleben betreffen und den Alltag immer mehr verändern. Viele kleine Umstände, die die Angst von Philip und den Zorn des Vaters immer größer werden lassen. Durch staatliche Maßnahmen sollen die jüdischen Gemeinden nach und nach zerstört werden. Der Antisemitismus im Land wird immer offensichtlicher und bedrohlicher, bis er sich schließlich in öffentlicher Gewalt äußert und Tote fordert.
Im Rückblick betrachtet, war das schonungslose Unvorhergesehene das, was wir Kinder in der Schule als „Geschichte“ lernten, harmlose Geschichte, wo alles Unerwartete zu seiner Zeit als unvermeidlich verzeichnet wird. Den Schrecken des Unvorhergesehenen lässt die Geschichtswissenschaft verschwinden, indem sie eine Katastrophe zu einem Epos macht.
Wie immer schreibt Roth sehr detailliert, stattet auch Nebenfiguren mit ausschweifenden Biographien aus, um sie dann recht schnell wieder verschwinden zu lassen. Das sei ihm aber angesichts der Genauigkeit und Klarheit, mit der er das Familienleben der Roths schildert, gerne verziehen. Die Szenen der Familie, wie sie um das Radio versammelt ist, um den Nachrichten zu lauschen, entschädigen für manche ausufernden Darstellungen.
Was im Roman aber letztlich nicht funktioniert ist das Ende des fiktiven Geschichtsverlaufs. Hier entsteht schon fast der Eindruck, Philip Roth hätte der Mut gefehlt, es konsequent weiterzuführen. Was ebenso fehlt, sind die sozialen und innenpolitischen Auswirkungen, der Lindbergh Zeit. So wird durch das Ende manche Stärke des Vorangegangenen demontiert.
In Verschwörung gegen Amerika versucht sich Philip Roth an einer fiktiven Geschichtsdarstellung, die auch bis kurz vor dem Ende hervorragend funktioniert. Anhand der Familie Roth zeigt er, wie sich die Furcht immer mehr im Alltag festsetzt und das Leben immer mehr verändert und bestimmt. Am Ende fehlt aber der Mut, das Ganze konsequent zu Ende zu führen, wodurch nach dem Lesen ein schaler Beigeschmack bleibt.