
Wenn wir 10 Leute befragen, was oder wen sie mit japanischer Literatur verbinden, werden vermutlich 8 Leute „Haruki Murakami“ antworten. Verdient, würde ich sagen, denn er ist nicht nur einer meiner Lieblingsautoren, sondern extrem populär und erfolgreich. Aber: Bei vielen Menschen hört die Kenntnis genau hier auf.
Dabei hat Japan so viele weitere interessante und talentierte Autor:innen zu bieten. Insbesondere in den letzten paar Jahren haben sich Frauen in Japan selbst, aber auch im englisch- und deutschsprachigen Raum einen Namen mit ihren Büchern gemacht. Allen voran sind wahrscheinlich Banana Yoshimoto und Sayaka Murata zu nennen, DIE weiblichen Stars der aktuellen japanischen Literaturszene.
Neben dem magischen Realismus, dem sich auch Murakami größtenteils in seinen Werken widmet, bietet die derzeitige japanische Literaturlandschaft zahlreiche weitere Subgenres und Themenbereiche, die es zu entdecken gilt. Von klassischen und weniger standardgemäßen Kriminalromanen über feministische Erzählungen, herzerwärmende Geschichten über Freundschaft und düstere Offenbarungen menschlicher Abgründe bis hin zu harten Thematiken verpackt in einen Mantel von Surrealismus und Weirdness. Insbesondere gesellschaftskritische Romane, die sich mit der Rolle und dem Bild der Frau in der patriarchalen, leistungsorientierten japanischen Gesellschaft befassen, scheinen immer mehr auf dem Vormarsch zu sein.
Wir möchten euch im Folgenden einige japanische Autorinnen und ihre Werke vorstellen und wünschen euch viel Spaß beim Entdecken und Lesen!
Banana Yoshimoto
Banana Yoshimoto (*1964) ist eine Ikone der japanischen Literatur, bekannt für ihre warmherzigen und zugleich melancholischen Geschichten. Mit ihrem Debütroman Kitchen (1988) traf sie den Nerv einer ganzen Generation. Die Erzählung über Verlust, Liebe und die heilende Kraft von Alltagsritualen – wie dem Kochen – ist ein moderner Klassiker, der Leserinnen weltweit verzaubert hat. Yoshimotos Sprache ist leicht und zugänglich, doch unter der Oberfläche steckt eine emotionale Tiefe, die einen lange begleitet.
Auch in Werken wie Tsugumi (1989) oder Amrita (1994) beweist sie ihr Gespür für die großen Themen des Lebens: Trauer, Sehnsucht und die Suche nach einem Platz in der Welt. Ihre Figuren sind oft junge Menschen, die sich in Übergangsphasen befinden – zwischen Kindheit und Erwachsensein, Verlust und Neuanfang.
Yoshimotos Geschichten fühlen sich an wie ein warmer Tee an einem regnerischen Tag: tröstlich, introspektiv und voller leiser Hoffnung. Mit ihrer Mischung aus Leichtigkeit und Tiefgang ist sie die perfekte Autorin für alle, die in Literatur Trost und Inspiration suchen.

Hiromi Kawakami
Hiromi Kawakami (*1958) verwebt das Alltägliche mit einem Hauch von Magie und schafft damit Geschichten, die sanft, skurril und zugleich tief berührend sind. Ihr bekanntestes Werk, Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß (Strange Weather in Tokyo, 2001), erzählt die zarte Liebesgeschichte zwischen der jungen Tsukiko und ihrem ehemaligen Lehrer. Mit minimalistischem Stil und viel Gefühl fängt Kawakami die kleinen Momente ein, die das Leben groß machen – von einem geteilten Mahl bis zu einem Spaziergang durch die Jahreszeiten.
In Die zehn Lieben des Nishino (The Ten Loves of Nishino, 2003) oder Herr Nakano und die Frauen (The Nakano Thrift Shop, 2005) entfaltet sie ein schillerndes Kaleidoskop menschlicher Beziehungen – immer mit einem Augenzwinkern und einem Gespür für die Absurditäten des Lebens. In People from My Neighbourhood (2019) zeigt sie sich von ihrer surrealen Seite: In 36 Miniaturen erzählt sie von einem Dorf, in dem das Fantastische und das Alltägliche untrennbar verbunden sind – ein (wahn)witziger und tiefgründiger Blick auf menschliche Eigenheiten.
Ihre Geschichten fühlen sich an wie ein melancholischer Sommerabend: leise, warm und voller unerwarteter Schönheit. Kawakami liest man nicht, um Antworten zu finden, sondern um das Geheimnisvolle in den kleinen Dingen zu entdecken. Perfekt für alle, die sich von zarten Geschichten in den Bann ziehen lassen möchten.
Yōko Ogawa
Yōko Ogawa (*1962) schafft, was nur wenige können: Geschichten, die sanft daherkommen und einen trotzdem eiskalt erwischen. Ihre Werke bewegen sich irgendwo zwischen poetischer Schönheit und verstörender Dunkelheit – ein Spannungsfeld, in dem sie brilliert. In Das Geheimnis der Eulerschen Formel (The Housekeeper and the Professor, 2003) zeigt sie ihre sanfte Seite: Die zarte Freundschaft zwischen einem Mathematikprofessor mit Gedächtnisverlust und seiner Haushälterin ist eine Ode an die Magie der Zahlen und menschlicher Verbindungen.
Doch Ogawa kann auch anders. In Die Insel der verlorenen Erinnerungen (The Memory Police, 1994) erschafft sie eine dystopische Welt ein, in der Dinge – und die Erinnerungen daran – spurlos verschwinden. Mit subtiler Intensität erforscht sie Themen wie Kontrolle, Verlust und die Zerbrechlichkeit der Identität.
Ogawas Sprache ist präzise, fast hypnotisch, und ihre Geschichten verweben das Alltägliche mit dem Unheimlichen. Sie ist perfekt für alle, die sich gerne von Büchern sanft in eine dunkle Ecke führen lassen, aus der man am Ende völlig verändert zurückkommt. Literarischer Nervenkitzel mit Tiefgang – das ist Yōko Ogawa.
Kanae Minato
Kanae Minato (*1973) ist der Name, den sich Krimi- und Thriller-Fans unbedingt merken sollten. Mit ihrem Debütroman Geständnisse (Confessions, 2008) hat sie nicht nur die Bestsellerlisten gestürmt, sondern auch gezeigt, wie psychologisch raffinierte Spannung geht. Die Geschichte einer Lehrerin, die den Tod ihrer Tochter rächen will, entfaltet sich wie ein düsteres Puzzle – jede Enthüllung zieht die Leserinnen tiefer in einen Abgrund aus Schuld, Wut und moralischer Ambivalenz.
Minatos Markenzeichen sind komplexe Charaktere, moralische Grauzonen und die Frage: Wie weit darf man gehen, um Gerechtigkeit zu bekommen? Auch in weiteren Werken wie Penance (2012) und Schuldig (2019) beweist sie ihr Talent, menschliche Abgründe mit scharfem Blick und knisternder Spannung zu erkunden.
Ihre Geschichten sind wie ein psychologisches Schachspiel: Jede Wendung sitzt, jede Figur hat ihre versteckten Motive, und nichts ist so, wie es scheint. Perfekt für alle, die ungewöhnliche Thriller lieben, die Kopf und Herz gleichermaßen herausfordern. Kanae Minato – das ist Nervenkitzel mit literarischer Klasse.

Sayaka Murata
Sayaka Murata (*1979) ist eine der Vorreiterinnen der zeitgenössischen japanischen Literatur. Mit ihrem Kultroman Die Ladenhüterin (Convenience Store Woman, 2016) katapultierte sie sich in die Herzen von Leser:innen weltweit. Darin erzählt sie von Keiko, die seit Jahren in einem 24/7-Shop arbeitet und keinerlei Interesse hat, sich in das Korsett gesellschaftlicher Erwartungen zwängen zu lassen. Mit bissigem Humor und schonungsloser Ehrlichkeit hält Murata der japanischen Gesellschaft den Spiegel vor – und zwar gnadenlos.
Ihr zweites Werk, Das Seidenraupenzimmer (Earthlings, 2018), geht noch weiter: Es wird düster, wild und richtig schräg. Protagonistin Natsuki glaubt, sie sei ein Alien – und ehrlich gesagt, wer würde es ihr verdenken bei einer Gesellschaft, die Konformität über alles stellt?
Murata schreibt für alle, die das Gefühl kennen, nicht in die Schublade zu passen, und zeigt, wie befreiend es sein kann, diese Schublade einfach in die Luft zu sprengen. Ihre Geschichten sind mal absurd, mal tragisch, immer einzigartig – und perfekt für alle, die Literatur suchen, die anders ist.
Mieko Kawakami
Mieko Kawakami (*1976) ist eine der aufregendsten Stimmen Japans – und das nicht nur, weil sie vor ihrer Autorenkarriere Sängerin war. Mit ihrem internationalen Durchbruch Brüste und Eier (Breasts and Eggs, 2008/2019) brachte sie eine ehrliche, schonungslose Diskussion über Weiblichkeit, Körper und soziale Ungleichheit auf den Tisch. Ihre Figuren sind scharf, zerrissen und unglaublich nahbar, und Kawakami schafft es, aus alltäglichen Themen große Fragen zu machen: Wie frei sind Frauen in einer Gesellschaft, die sie ständig beurteilt?
In ihrem Roman Heaven (2009) zeigt sie eine ganz andere Seite. Hier taucht sie in die dunkle Welt von Mobbing ein, erzählt aber mit einer Zärtlichkeit, die tief unter die Haut geht. Kawakami hat keine Angst vor den hässlichen Seiten des Lebens – und genau das macht ihre Bücher so kraftvoll und relevant.
Mit ihrer klaren, poetischen Sprache bringt sie komplexe Themen auf den Punkt und beweist, dass Literatur sowohl politisch als auch zutiefst menschlich sein kann. Kawakami liest man nicht einfach – man fühlt sie. Perfekt für alle, die Bücher lieben, die nachhallen.
Emi Yagi
Emi Yagi (*1988) ist die Newcomerin der japanischen Literaturszene, die man definitiv im Auge behalten sollte. Mit ihrem Debütroman Frau Shibatas geniale Idee (Diary of a Void, 2020) hat sie direkt einen Volltreffer gelandet. Die Story? Eine Büroangestellte in einer toxisch-maskulinen Arbeitswelt beschließt, eine Schwangerschaft vorzutäuschen – nur, um endlich mal in Ruhe gelassen zu werden. Was wie eine clevere Satire beginnt, entwickelt sich zu einem tiefgründigen Kommentar über gesellschaftliche Erwartungen, Frauenrollen und die Grenzen der Selbstbestimmung.
Yagis Stil ist frisch, frech und absolut unvorhersehbar. Sie mischt alltägliche Situationen mit absurden Wendungen und lässt dabei genug Raum für die Leser*innen, zwischen den Zeilen zu grübeln. Ihr Roman ist ein literarisches Augenzwinkern, das mal zum Lachen, mal zum Nachdenken anregt – und immer trifft es ins Schwarze.
Für alle, die skurrile Geschichten mit viel Substanz mögen, ist Emi Yagi ein absolutes Muss. Sie ist der Beweis, dass Debüts manchmal genauso kraftvoll sein können wie die Werke von etablierten Größen.
Welche japanischen Autorinnen konnten euch in den letzten Jahren begeistern? Auf wessen Übersetzungen wartet ihr schon sehnsüchtig? Lasst gerne weitere Empfehlungen oder eure Lieblingsbücher da!
