Yaa Gyasi – Heimkehren

Rezension Yaa Gyasi Heimkehren Roman

Yaa Gyasis Debütroman Heimkehren spielt in Ghana und den USA und umspannt acht Generationen. Es ist eine erschütternde und zugleich berührende Familiensaga, welche durch ihre Themen wie Heimat und Rassismus mit politischer und gesellschaftlicher Aktualität punktet.

Ghana im 18. Jahrhundert. Effia und Esi, zwei Schwestern, die zwar dieselbe Mutter haben, aber unterschiedliche Väter, wissen nichts von der Existenz der jeweils Anderen. Während Effia einen britischen Offizier heiratet, der in der Festung von Cape Coast Sklavenhandel betreibt, sitzt ihre Schwester am anderen Ende der Nahrungskette, nämlich mit dutzenden anderen Sklaven im Kerker und wartet auf ihre Verschiffung nach Amerika. Die Geschichte folgt den beiden Schwestern und ihren Nachfahren auf zwei verschiedenen Kontinenten. Effia, ihre Kinder und Enkel profitieren vom Sklavenhandel, haben allerdings auch ihre Schwierigkeiten. Esi und ihre Nachkommen hingegen versuchen in den USA, sich trotz Sklaventum eine neue Heimat aufzubauen und gegen den Rassismus zu kämpfen, der ihnen täglich begegnet.

Yaa Gyasis Roman Heimkehren ist eine Familiensaga, die sich über mehrere Generationen und Jahrhunderte streckt. Sie beginnt mit den Halbschwester Effia und Esi, deren Leben nicht unterschiedlicher verlaufen könnten. Anfangs fand ich mich noch gut mit den Protagonisten zurecht. Abwechselnd wird aus Effias und aus Esis Familie berichtet und ganz hinten im Buch findet sich ein Stammbaum. Doch je mehr Kapitel folgten, je mehr Nachfahren hinzukamen, desto verwirrter wurde ich. Da konnte der Stammbaum zwar ein wenig helfen, aber leider nicht ganz. Ich musste bei jedem neuen Blickwinkel überlegen, wer jetzt nochmal die Eltern des Charakters waren und wie ihr Leben verlaufen war. Trotz der Masse an Protagonisten und Lebensgeschichten schafft Gyasi es aber, ihre Figuren lebendig, ihre Geschichten abwechslungsreich zu gestalten. 14 Männer und Frauen werden über die Jahrhunderte begleitet und eigentlich scheint es paradox, dass ein einzelnes Kapitel von rund 30 Seiten mir als Leser jeden dieser Menschen so nahe bringt, aber irgendwie hat die Autorin das meiner Meinung nach wunderbar geschafft.

Ness‘ Mutter Esi war eine ernste, robuste Frau gewesen, die nie eine fröhliche Geschichte erzählt hatte. Sogar ihre Gute-Nacht-Geschichten hatten vom „Großen Schiff“ gehandelt. Ness war mit Bildern von Männern eingeschlafen, die in den Atlantik geworfen wurden wie Anker, die nirgendwo befestigt waren: an keinem Land, keinem Volk, keinem Wert.

Thematisiert wird in dem Roman unter anderem die Geschichte Ghanas, des dort herrschenden Sklavenhandels sowie der Kämpfe und Kriege zwischen den einzelnen Stämmen, wie den Asante und den Fante. Die ständigen Überfälle auf andere Dörfer werden damit begründet, dass derjenige, der nicht raubt und tötet am Ende bloß selbst zum Opfer würde. So ziehen sich die Konflikte über Jahrhunderte hinweg. Dass die Fante zudem noch Gefangene nehmen und sie als Sklaven an die Briten verkaufen, bessert die Situation keineswegs. Hauptsächlich beschreibt Gyasi, die selbst in Ghana geboren wurde und in den USA aufwuchs, wie sich der Sklavenhandel auf die Familie Effias auswirkt, auch auf diejenigen, die nichts damit zu tun haben möchten. Einige wenige Szenen beschreiben die Gefangenschaft der Sklaven in der Festung von Cape Coast und sind wirklich erschütternd.

„Willst du wissen, was Schwäche ist? Schwäche ist es, jemanden so zu behandeln, als würde er einem gehören. Stärke ist es zu wissen, dass jeder nur sich selbst gehört.“

Yaa Gyasi Heimkehren Rezension Literatur

Auch die andere Seite der Sklaverei wird porträtiert: Esi, die in die USA geschickt wird, und ihre Nachkommen, versuchen sich dort ein neues Leben aufzubauen. Anfangs sind sie noch Sklaven und arbeiten auf den Feldern oder im Haushalt. Nachdem die Sklaverei in den USA abgeschafft wird, scheint sich die Situation jedoch nur kurzzeitig zu bessern. „So was wie einen freien Nigger gibt es nicht“, sagen die weißen Amerikaner, die Esis Urenkel H ohne ersichtlichen Grund festnehmen, einfach nur, weil er die „falsche“ Hautfarbe hat. Auch wenn Sklaverei offiziell nicht mehr existiert, wird H als Arbeiter an eine Mine verkauft und schuftet dort unter unmenschlichen Bedingungen. Jahrzehnte später, als seine Tochter, sein Enkel und sein Urenkel zwar frei sind, haben sie trotz alledem mit dem vorherrschenden Rassismus sowie der Rassentrennung in den amerikanischen Städten zu kämpfen – Jobs und Wohnungen werden ihnen verweigert, sie werden beschimpft, wie Dreck behandelt, ignoriert.

Diese Menschen in den USA haben kein Zuhause. Da sie nicht in Ghana geboren wurden, ist Ghana nicht ihre Heimat. Es ist nur die Heimat ihrer Vorfahren. Die USA, die ihr Zuhause sein müssten, vermittelt ihnen aber überhaupt nicht das Gefühl von Heimat. Heimkehren – wohin also, wenn man nirgends willkommen ist? Wenn man hier nicht akzeptiert wird, das Vaterland der Vorfahren aber nur aus Geschichten kennt? Doch auch in Ghana scheint es Effia und ihren Nachkommen nicht besser zu ergehen: zum Teil fühlen sie sich fremd im eigenen Land, möchten mit den Traditionen ihrer Eltern brechen oder müssen ihre schwierige Vergangenheit aufarbeiten.

„Kaum bin ich aus dem Flugzeug gestiegen, wissen die Leute, dass ich zwar schwarz wie sie, aber trotzdem anders bin. Sie riechen es.“
„Riechen was?“
„Einsamkeit vielleicht. Oder Alleinsein. Ich bin weder hier noch dort wirklich zu Hause.“

Gyasis Stil ist relativ schlicht aber mit außergewöhnlichen Bildern und Metaphern, die durch die ghanaische Geschichte, Kultur und Sprache geprägt sind – großartig übersetzt von Anette Grube. Es ist eine kraftvolle und eindringliche Sprache, leicht zu lesen, aber aufgrund der Geschehnisse nur schwer zu verdauen. Gewalt, Folter, Mord und Totschlag, Vergewaltigung, Hass – all das sind Dinge, die dem Leser begegnen und ihm das Herz ein wenig zuschnüren. Es sind Schilderungen, die zum Teil heftig sind, die betroffen und traurig machen, aber auch wütend, denn wir wissen ganz genau, dass es so oder anders vielen Menschen ergangen ist und teilweise immer noch ergeht.

Weil sein Körper bereits wusste, was seine Gedanken noch nicht ganz zusammengesetzt hatten: dass du in Amerika nichts Schlimmeres sein konntest, als ein schwarzer Mann. Das war schlimmer als tot, du warst ein lebender Toter.

Yaa Gyasis Roman Heimkehren erzählt die Geschichte zweier Schwestern und ihrer Nachkommen, die sowohl in Ghana als auch in Amerika mit dem Sklavenhandel und seinen Auswirkungen zu kämpfen haben, auf der Suche nach einer Heimat und Zugehörigkeit sind und, wo auch immer sie leben, einfach nur frei sein wollen. Es ist ein unglaublich gut geschriebenes Debüt, manchmal ob der vielen Protagonisten ein wenig verwirrend, dafür aber spannend, berührend, schockierend und mit seinem Kernthema Rassismus natürlich auch politisch extrem aktuell.

9 Kommentare

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  1. Mareike von Herzpotenzial

    Ein außergewöhnliches Buch – ich fand die Feuergeist/-gott/-wasauchimmer Elemente nicht unbedingt stimmig, doch sonst hat mich der Roman viel mehr berührt und packen können als „Underground Railroad“. Ich bin sehr gespannt, was die Autorin noch zu erzählen hat in den kommenden Jahren.

    Viele liebe Grüße
    Mareike

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  2. Mikka Liest

    Huhu!

    Wenn ein Buch allzu viele Charaktere hat, verliere ich auch schon mal den Überblick. Dann müssen mich die Charaktere und/oder die Geschichte schon fesseln, damit ich nicht die Lust am Lesen verliere!

    Aber es klingt so, als wäre das bei diesem Buch wahrscheinlich der Fall. Ich werde es auf jeden Fall noch lesen.

    Ich habe deinen Beitrag HIER für meine Kreuzfahrt durchs Meer der Buchblogs verlinkt.

    LG,
    Mikka

    Gefällt 1 Person

    • letusreadsomebooks

      Hier finde ich es besonders tricky, weil jedem Charakter ja nur ein Kapitel von 20-35 Seiten eingeräumt wird, in diesen Kapiteln aber immer unglaublich viel passiert und viel Hintergrundgeschichte mit einfließt. Trotzdem sollte dich das aber nicht entmutigen, sonst verpasst du ein großartiges Buch! :)
      Vielen Dank fürs Verlinken! :)
      Liebe Grüße,
      Nadine

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