Dieses Jahr fühlt sich an wie ein kollektiver Augenöffner. Fast scheint es, als hätten wir irgendwann Mitte 2025 gemeinsam gemerkt: Hoppla, so geht’s nicht weiter. Wir haben genug von endlosem Scrollen, von Nachrichtenfluten, die uns runterziehen, von Algorithmen, die uns nicht zeigen, was uns wirklich interessiert, sondern was uns am längsten hängenbleiben lässt. Stattdessen suchen viele von uns wieder nach echten, haptischen Erfahrungen, nach Dingen, die man fühlt, riecht, anfassen kann – nicht nur nach dem nächsten vertonten 15-Sekunden-Clip.
Es ist ein Trend, der nicht nur aus Sehnsucht nach Nostalgie entsteht, sondern aus Überforderung mit digitaler Dauerverfügbarkeit und geistiger Erschöpfung. Das Wort Doomscrolling, einst ein Insider-Begriff, ist inzwischen Teil unserer Alltagssprache – ein Ausdruck für das Gefühl, unwillkürlich in endlosen Negativnachrichten zu versinken, bis der Kopf brummt und die Seele schwer wird. Psycholog:innen warnen schon länger davor, dass dieser konstante Nachrichtenkonsum nicht nur Laune und Schlaf beeinflusst, sondern unsere Aufmerksamkeitsspanne und unser inneres Gleichgewicht nachhaltig untergräbt.
Gleichzeitig wächst eine andere Bewegung. Eine Gegenbewegung, die nicht einfach weg vom Digitalen will, sondern bewusster mit ihm umgeht – und mehr echte Präsenz, Achtsamkeit und Verbindung sucht. Begriffe wie “Digital Minimalism” oder “Dopamine Detox” sind 2025 keine Randerscheinungen mehr, sondern Teil von Gesprächen über mentale Gesundheit, Alltagspraxis und Lebensqualität.
Analogue Living: Offline wird neu erstrebenswert
2025 hat sich ein Trend herauskristallisiert, der irgendwo zwischen Nostalgie und echter Gegenwartsanalyse liegt: Analogue Living – das bewusste Erleben analoger Tätigkeiten als Gegenpol zur digitalen Dauerbeschallung. Eine Bewegung, die nicht nur ältere Generationen anspricht, sondern vor allem junge Menschen der Gen Z. Sie greifen wieder zu alten Kameras, Vinyl-Platten, gedruckten Büchern und handgefertigten Notizbüchern, erstellen Anti-Brainrot-Agenden, analoge Curricula & Co.
Diese Rückkehr zum Analogen zeigt sich nicht nur im Privaten, sondern auch immer stärker im Sozialen. Buchclubs boomen, Reading und Knitting Partys schießen in vielen Städten aus dem Boden, und Formate wie Paint & Drink und Töpferkurse sind plötzlich überall ausgebucht. Menschen wollen wieder gemeinsam etwas tun, ohne dass es performativ sein muss. Lesen, malen, schreiben – nebeneinander, miteinander, offline. Es geht weniger um Output oder Selbstdarstellung, sondern um geteilte Zeit und geteilte Aufmerksamkeit. Vielleicht ist genau das der Kern dieser Bewegung: das Bedürfnis nach echten Begegnungen in einer Welt, die lange vor allem auf Bildschirme gestarrt hat.
Oder denkt an die Renaissance des Dumbphones – einfacher Handys ohne Apps – die 2025 bei vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen boomt. Auf Black Friday verkauften sie sich besser als erwartet, weil Menschen bewusst ihre Aufmerksamkeit zurückerobern wollen. Papierkalender und mechanische Wecker erleben eine Renaissance, nicht aus Nostalgie allein, sondern weil sie keine Bildschirme und keine Ablenkung sind.
Und es bleibt nicht nur bei Gadgets: Retro-Hobbys und analoge Aktivitäten haben 2025 massiv an Zugkraft gewonnen – von analoger Fotografie über Nähen und Stricken bis hin zu Töpferkursen oder Gartenarbeit. Menschen berichten, dass diese Tätigkeiten nicht nur Ruhe bringen, sondern echte Zufriedenheit, Kreativität und Verbundenheit mit der eigenen Umgebung.
Warum dieser Trend gerade jetzt passiert
Dass diese Entwicklung ausgerechnet 2025 ein breites Publikum erreicht, ist kein Zufall. Die letzten Jahre waren von einer extremen digitalen Übersättigung geprägt: Algorithmen wurden intelligenter, Inhalte schneller, Reize eindringlicher, und wir haben gelernt, immer verfügbar zu sein. Aber dieser Überfluss hat eine Kehrseite: Er führte zu Überforderung, Reizüberflutung und dem Gefühl, permanent abgelenkt statt wirklich verbunden zu sein.
Dazu kommt: Die Digitalisierung hat nicht nur unsere Aufmerksamkeit beansprucht, sondern Konsumverhalten verändert. Social-Media-Plattformen fungieren heute oft nicht nur als Unterhaltung, sondern als permanente Verkaufsflächen – von Influencer-Empfehlungen über Ads bis zu versteckter Werbung. Menschen fangen an, diese Inhalte als Überkonsum wahrzunehmen: Nicht nur an körperlichen Dingen, sondern an Aufmerksamkeit, Zeit und Energie, die ihnen so entzogen wird.
Für viele fühlt sich das nicht mehr gut an. Sie sind müde vom endlosen Scrollen, müde vom Konsumieren um des Konsums willen, müde von dauernder Bewertung und Performanz. Stattdessen wächst der Wunsch nach echtem Erlebnis, echter Verbindung, echten Hobbys und echten Orten. Nicht als romantische Flucht, sondern als bewusste Entscheidung.
Wie sich das manifestiert
Die Art und Weise, wie Menschen analog leben möchten, ist vielfältig:
- Digitale Detox-Praktiken, bei denen bewusste Bildschirm-Pausen eingelegt werden (z. B. „No-Scroll Sundays“ oder bestimmte Stunden am Tag ohne Social Media).
- Offline-Events und No-Phone-Treffen, bei denen tatsächlich Präsenz und echte Gespräche im Mittelpunkt stehen.
- Die Wiederentdeckung alter Hobbys oder Handwerke, die man mit den eigenen Händen macht statt vor dem Bildschirm.
- Bewusstes Konsumieren: weniger FOMO-getriebener Kauf, mehr Nachhaltigkeit, mehr „stuff that matters“.
Und natürlich: mehr Zeit mit echten Menschen und echten Erfahrungen – Spaziergänge statt Feeds, Gespräche statt Chats, Stille statt Notifications.
In vielen dieser Bewegungen steckt nicht nur Selbstfürsorge, sondern auch eine solidarische Haltung: Dass wir nicht einfach mehr konsumieren, sondern unsere Zeit, Energie und Aufmerksamkeit kritisch wahrnehmen und schützen.
Was das für Blogs bedeuten könnte (im Vergleich zu Instagram & TikTok)
Für mich als Bloggerin fühlt sich dieser Trend wie eine Bestätigung an. Blogs waren immer ein analoges Medium im digitalen Raum: Orte, an denen man länger verweilt, tiefer liest, nachdenkt. Anders als auf Instagram oder TikTok, wo der Content innerhalb von Sekunden „funktionieren“ muss, können Blogs Räume schaffen, in denen man länger bleibt, reflektiert, Sinn findet und nicht nur konsumiert.
2025 ist die organische Reichweite auf sozialen Plattformen an vielen Stellen auf einem historischen Tiefpunkt – Inhalte werden gefiltert, ausgesiebt, algorithmisch bewertet; echte Sichtbarkeit kostet Aufmerksamkeit und oft Geld. In diesem Umfeld sind Blogs winzige Leuchttürme: Wenn man sie findet, dann weil jemand wirklich etwas zu sagen hat – nicht, weil ein Algorithmus das nächste Häppchen ausgewählt hat.
Und genau hier könnte die Zukunft liegen: Qualität statt Oberfläche, Tiefe statt Dauerberieselung, echte Meinungen statt kuratierter Show. Ein Blogpost, der zeilenweise gelesen wird, weil er inspiriert oder zum Nachdenken anregt, hat etwas, was der flüchtige Reel oder die Story kaum noch erreichen kann.
Vielleicht erklärt dieser Trend auch, warum so viele dieses Analoge Revival spüren: nicht als nostalgische Mode, sondern als echte Sehnsucht nach Tiefe, Konzentration und ungeteiltem Erleben. Und ein Blog – langsam, gedruckt im Wort, nicht bloß im Bild – passt dazu wie kaum ein anderes Format.
Vielleicht schreibe ich das alles auch deshalb, weil ich merke, wie sehr wir diesen Blog in den letzten Jahren vernachlässigt haben. Vollzeitjob, andere Projekte, neue Hobbys, das Leben dazwischen – und irgendwann war Instagram einfach schneller, einfacher, präsenter. Aber je länger ich über diese Rückkehr zum Analogen nachdenke, desto öfter frage ich mich, ob es nicht auch für letusreadsomebooks Zeit wäre, wieder mehr Raum einzunehmen. Nicht als Pflicht, nicht als Content-Maschine, sondern als Ort für längere Gedanken, unfertige Ideen, Texte, die bleiben dürfen. Vielleicht ist 2026 genau das richtige Jahr, um hier wieder öfter aufzutauchen. Ohne Druck. Aber mit Lust.
Seht ihr auch diesen Drang weg vom Doomscrolling oder glaubt ihr, das ist alles noch so nischig, dass man sowieso keinen Unterschied spüren wird? Wie ist es mit eurem eigenen Verhalten: merkt ihr ebenfalls eine Veränderung in euren Bedürfnissen oder habt ihr euch vielleicht sogar konkrete Vorsätze diesbezüglich für das neue Jahr gesetzt?


