Paul Auster – 4 3 2 1

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Was wäre wenn?

Archie, eigentlich Archibald Ferguson, wächst in den 50er Jahren in Newark auf. Nach und nach entwickeln sich vier Varianten seines Lebens. Zunächst eher bescheiden und provinziell, dann von den Ereignissen seiner Zeit gezeichnet, außerdem vom Unglück verfolgt und schließlich von großer künstlerischer Begabung. Alle vier Versionen sind geprägt von der Liebe, sowie unvorhergesehenen Schicksalsschlägen.

Wer hat sich nicht schon mal die Frage gestellt wie sein Leben verlaufen wäre, wenn bestimmte Situationen anders ausgegangen wären? Dieser spannenden Frage geht Paul Auster in seinem neuen Roman 4 3 2 1 nach. Dargestellt wird das Gedankenspiel anhand des im Jahr 1947 geborenen Archie Ferguson. Archie wächst als Sohn jüdischer Eltern in Newark auf, die Mutter arbeitet zunächst als Assistenz-Fotografin, während der Vater ein Möbel- und Elektrogeschäft betreibt. In allen vier Versionen des Lebens sind die „Startbedingungen“ für Archie gleich, doch die Entwicklung ist dafür unterschiedlich. Die vier Leben unterscheiden sich in bestimmten Details, die aber für Archies Leben von entscheidender Bedeutung so sind. So trennen sich seine Eltern zum Beispiel, sein Vater wird reich, seine große Liebe entscheidet sich für ihn, gegen ihn, oder die Beziehung nimmt ein negatives Ende.

Was, wenn er vom selben Baum gefallen wäre und sich nicht ein, sondern beide Beine gebrochen hätte? Ja, alles war möglich, und nur, weil etwas auf eine bestimmte Weise geschah, hieß das noch lange nicht, dass es nicht auf eine andere Weise geschehen könnte. Alles konnte anders sein.

Trotz der Unterschiede gibt es aber auch bestimmte Konstante, die allen vier Leben gleich sind: seine große Liebe Amy Schneidermann und in seiner Jugend das Interesse für Sport und die eigene Sportlichkeit, vor allem in Bezug auf Basketball und Baseball. Was alle ebenfalls gemeinsam haben, ist ein grundlegendes Interesse für die Welt, besonders in einer Variante spielt die Frage nach der Existenz Gottes eine wichtige Rolle, sowie die Wertschätzung von Kulturgütern, wobei Literatur und Film hier im Vordergrund stehen. Der Leser erlebt gemeinsam mit den vier Archies die Geschichte Amerikas in den 50er und 60er Jahren. Über die Attentate auf die Kennedys, den Vietnam Krieg, die Ermordung Martin Luther-Kings und den Rassismus bis zu Studentenprotesten und der Besetzung der Columbia-University. All diese Ereignisse spielen für die Archies eine Rolle und beeinflussen sein Leben mal mehr und mal weniger. Daraus entwickelt sich ein Roman, der sowohl Familienroman als auch Entwicklungsroman ist, sowie ein Zeitporträt und unverkennbar starke autobiographische Züge aufweist.

Der von Auster gewählte Stil ist (vielleicht zum Glück) nicht mehr minimalistisch angelegt wie in den zuletzt veröffentlichten biographischen Werken. Stattdessen schreibt er klar, einfach und abwechslungsreich.

Da Er überall war, musste Er zwangsläufig auch bei Ferguson sein, und wenn Er nicht dort war, wo Ferguson zufällig war, konnte das nur bedeuten, dass Er nirgendwo war und niemals irgendwo gewesen war, dass Er in Wahrheit nie existiert hatte und dass die Stimme, die Ferguson für die Stimme Gottes gehalten hatte, immer nur seine eigene Stimme gewesen war und er folglich nur Selbstgespräche geführt hatte.

Und so spannend die Grundidee ist und so gut Auster hier teilweise schreibt, hat mich der Roman mit zunehmender Dauer doch mehr und mehr gelangweilt. Nach 200 Seiten hatte ich noch gesagt: “Wow, das könnte eines der Bücher 2017 werden“, nach dem Durchlesen ist leider nur noch wenig von der Euphorie übrig geblieben. Durch den Aufbau des Buches werden dieselben Lebensabschnitte nach und nach erzählt, die sich dann aber nicht so voneinander unterschieden haben, wie erwartet. Die Themen wie Liebe, beginnende Sexualität und Gedanken über Kunst kommen immer wieder vor und werden jedes Mal neu in aller Detailfülle dargestellt. Doch so interessant sind studentische Geldprobleme und jugendliches Liebesleid nicht, dass es so ausufernd hintereinander dargestellt werden muss. Hier wird dann auch deutlich, dass die Varianten eben doch nicht völlig unterschiedlich verlaufen, die Personen in Archies Leben sind in etwa dieselben, nur ihre Beziehung zu Archie ist anders. Da Überrascht es nicht, dass die Version, in der Archie seine Bisexualität entdeckt und Literat wird, die interessanteste ist, da sie sich am deutlichsten von den anderen unterscheidet. Dieses Leben bietet wirklich Unterschiede und dreht sich nicht immer wieder um dieselben Orte und Personen. So sind die knapp 1250 Seiten nicht immer spannend und interessant zu lesen, weshalb ich gerade nach der anfänglichen Begeisterung leider enttäuscht war.

Gedankenspiel mit zu vielen Details

Ich hatte mich bei der Ankündigung von Paul Austers 4 3 2 1 sehr auf den Roman gefreut und als er dann im Briefkasten war, mich mit aller Euphorie in das Werk gestürzt. Die zu Beginn entstandene Begeisterung ist dann leider durch Enttäuschung ersetzt worden. Es ist bei Weitem kein schlechtes Buch, aber meine Erwartungen erfüllen konnte es eben auch nicht. Die Leben von Archie unterscheiden sich kaum, die Themen bleiben letztlich dieselben (Sexualität, Liebe, Kunst, Gesellschaft), werden aber für jeden Abschnitt so ausführlich dargestellt, dass bei mir stellenweise Langeweile aufgekommen ist.

Eine deutlich positivere Rezension findet ihr bei lustauflesen und vielleicht stimmt es, dass der Roman älteren Lesern mehr zusagt.

Weitere Infos zum Roman und Werk des Autors gibt es auf der Seite des Rowohlt Verlags.

3,5sterne

6 Kommentare

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  1. wortesammlerin

    Auf dieses Buch war ich so sehr gespannt, wie wohl auf kaum ein anderes dieses Jahr! Eine schöne Rezension, die mich nachdenklich macht, werde es auf jeden Fall noch lesen und bin sehr gespannt. Der 3sat Literaturclub hat den Roman auch diskutiert, falls dich das interessiert (ich selbst bin ja ein kleiner Buchnerd und da gehört dieser Literaturclub zum Standardprogramm, vielleicht ist er für dich ja auch eine schöne Quelle der Inspiration in Zukunft). Weiter so! :)

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  2. Karin

    Ich bin eine Leserin der älteren Generation und habe dasselbe empfunden wie Du, irgendwann fing es auch mich an zu langweilen, während ich „Ein wenig Leben“ sogar zweimal gelesen habe.
    Die Abschnitte über Baseball habe ich überflogen, die ewigen sexuellen Nöte waren dauerpräsent und minderten das Lesevergnügen an den Schilderungen über Literatur, Kunst, Filme (wobei letzteres auch wieder zu ausführlich war) . Sehr gelungen fand ich den jeweiligen schreiberischen Werdegang Archies .
    Die Hälfte des Buches war für mich Vergnügen, die andere Hälfte Qual.

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    • letusreadsomebooks

      Schön zu hören, dass ich mit meiner Meinung nicht alleie bin. Und du hast Recht, die Beschreibungen des jeweiligen schreiberischen Werdegangs ist der teil, der mir jetzt, kurz nach dem Lesen immer noch präsnt in Erinnerung ist und den ich am interessantesten fand.

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