Fuminori Nakamura – Die Maske

Fuminori Nakamura Die Maske Rezension Diogenes Roman

Fuminori Nakamuras neuer Roman Die Maske erzählt düster, brutal und spannungsgeladen von einem jungen Mann, der sich den grausamen Machenschaften seines Vaters entgegenzustellen versucht, dabei jedoch an seine moralischen Grenzen stößt. Darf man Feuer mit Feuer bekämpfen?

Als Fumihiro Kuki noch ein Kind ist, warnt ihn sein Vater, dass er ihn als Jugendlichen zu einem sogenannten Geschwür erziehen will. Nach einer alten Familientradition gebe es immer wieder jemanden, der im Namen der Familie Unheil über die Welt bringen solle, Tod, Gewalt, Verderben. Doch Fumihiro, der jeglicher Wärme und Vaterliebe entbehren musste, will sich seinem Vater widersetzen. Als das hübsche Waisenmädchen Kaori ins Haus einzieht, verliebt sich Fumihiro in sie und sieht sich gezwungen, sie gegen seinen Vater zu verteidigen. Doch Jahre später noch trägt Fumihiro die Lasten seiner frühen Taten mit sich herum. Unter einer fremden Identität lebt er nun in einer anderen Stadt und beauftragt einen Detektiv, seine Jugendliebe Kaori wiederzufinden, während er selbst gegen die Schatten seiner Vergangenheit ankämpft.

„Nichts ändert sich. Du wirst ein Geschwür sein. Eine negative Kraft auf dieser Welt. Indem du mich tötest, werde ich ein untrennbarer Teil von dir. Das ist die eigentliche Bedeutung von Mord. Und genau darin liegt die größte Versuchung: sich einen anderen Menschen einzuverleiben, im Tausch gegen die Deformation des eigenen Wesens.“

Die Maske ist nach Der Dieb erst Fuminori Nakamuras zweites Buch, das ins Deutsche übersetzt wurde. In Japan hat der 1977 geborene Schriftsteller bereits fünfzehn Romane und mehrere Kurzgeschichtensammlungen veröffentlicht. Warum der deutsche Buchmarkt erst so spät auf ihn aufmerksam wurde und zwischen den deutschsprachigen Veröffentlichungen von Der Dieb und Die Maske glatte drei Jahre verstreichen mussten (und auch, warum das Feuilleton letzten Monat geschlafen und nicht über das Buch berichtet hat), ist mir schleierhaft, denn Nakamura ist meiner Meinung nach ein ausgezeichneter Autor, sofern ich das nach nur einem seiner Romane beurteilen kann.

„Alles, was ich bin, ist in jeder Faser deines Körpers – in deinen Adern fließt mein Blut, in deinem Kopf arbeiten meine Gehirnzellen. Ich werde all deine Handlungen bestimmen, in dir brennen, dein Leben lang. Du wirst nie mehr glücklich sein.“

Anfänglich kam ich zugegebenermaßen nicht umher, Die Maske mit Werken Murakamis zu vergleichen. Ob es an der schlichten aber eindringlichen Sprache oder doch an dem düsteren, etwas verqueren Setting oder auch an beidem lag, vermag ich nicht zu sagen. Gewisse Elemente, wie der seltsam hartnäckige Kommissar, der Fumihiro verfolgt, aber auch die weit zurückgreifenden Familiengeschichten, die mit dem Krieg verbunden sind, haben mich schon ein wenig an Bücher von Nakamuras japanischem Schriftstellerkollegen erinnert. Gerade Fumihiros Vater wirkte auf mich wie eine noch grausamere Version von Kafka Tamuras Vater aus Kafka am Strand gepaart mit Andreas Corelli, dem mysteriösen und zwielichtigen Verleger aus Carlos Ruiz Zafóns Das Spiel des Engels. Auch atmosphärisch habe ich gewisse Ähnlichkeiten zu Murakami und Zafón gespürt – vielleicht hat mir das Buch ja gerade deshalb so gut gefallen, weil ich diese beiden Autoren wahnsinnig gerne lese?!

Aber trotz vermutlich unbeabsichtigter Parallelen – immerhin nennen sowohl Murakami als auch Nakamura Franz Kafka und Fjodor Dostojewski als ihre literarischen Vorbilder –, ist Die Maske ein sehr eigener Roman, der seinen ganz speziellen Charme hat. Düster, brutal, spannend und mitreißend ist die Geschichte um Fumihiro Kuki, sein neues Leben, seine alte Liebe und die Fesseln seiner Vergangenheit, die er einfach nicht abschütteln kann. Wäre Die Maske ein Film, wäre er definitiv in Schwarz-Weiß, vermutlich sogar ein Film Noir, mit stimmungsvoller Musik, beispielsweise Miles Davis „Lift to the Gallows“.

Aber mein junges Herz vermochte all die unglaublichen Ereignisse, die irre Verquickung von Himmel und Hölle, nicht zu entwirren und in eine Ordnung zu bringen. Was passiert war, hatte sich tief in meinem Inneren eingegraben, und mit jedem Jahr würde es mich mehr und mehr entstellen.

Das Buch bewegt sich zwischen Großstadtroman, Kriminalgeschichte, (Polit)Thriller und äußerst dunkler Familiengeschichte. Ein einzelnes Genre möchte man ihm gar nicht zuweisen, ihm keine Grenzen setzen, denn dann kann es sich am besten mit all seiner Wirkung frei entfalten. Die Geschichte beginnt schon auf den ersten Seiten spannend, als sich anbahnt, welch ein Schicksal Fumihiro bevorsteht, und das Tempo und der Nervenkitzel lassen auch im Verlauf des Romans nicht nach. Geschickt verwebt Nakamura Fumihiros Suche nach Kaori mit dem Erscheinen einer terroristischen Gruppe, unbekannten Feinden sowie einem plötzlich auftauchenden älteren Bruder, der das ‚Familiengeschäft‘ der Kukis auf seine ganz eigene Art weiterführt. So tauchen ständig neue Hindernisse für den Protagonisten auf, die weder ihn noch die Leser verschnaufen lassen. Die Maske ist ein Pageturner im allerbesten Sinne des Wortes: man kann es kaum aus der Hand legen und ist traurig, wenn die verrückte und rasante Reise in die menschlichen Abgründe dann doch auf einmal vorbei sein soll.

„Endlich werde ich ganz bei mir sein, mit dem Sterben und Leiden aller Menschen, aller Zeiten eins sein! Jeder einzelne Nerv in mir wird die gewaltige Woge des Endes spüren. Das ist der Moment. Dafür lebe ich. Alles sehnt sich nach dem Verschwinden. Wie sehr die Menschen sich auch abmühen, alles geschieht in Erwartung des Endes, zitternd vor Zuversicht und Hoffnung. Das ist das Wesen der Welt. Das Ende hat uns verführt.“

Fumihiros kontrastierende Wünsche, nicht so sein zu wollen, wie sein grausamer Vater, aber dennoch (oder gerade deswegen) dem Treiben des Vaters endlich ein Ende zu setzen, werden auf starke Weise dargestellt. Gleichsam der Umgang mit dem Verbrechen, mit dem Begehen eines Mordes: kann ich überhaupt weiterleben, wenn ich getötet habe? Wie schaffe ich das, ohne dem Wahnsinn zu verfallen? Obwohl der junge Fumihiro nicht in die Fußstapfen seines Vaters treten wollte, tut er es doch, und zwar gleich mehrmals – um der Liebe willen, um Kaori zu beschützen und um diejenigen zu bestrafen, die selbst moralisch verwerflich gehandelt haben. Die innere Zerrissenheit des jungen Kuki-Sprosses wird trotz Distanz zwischen Protagonist und Leser extrem gut rübergebracht. Auch wenn ich mich nicht hundertprozentig mit Fumihiro verbunden fühlte, was vielleicht an der sehr ausgefallenen Story lag, konnte ich den internen Konflikt, der zeitweise philosophische Züge annimmt, durchaus mitfühlen und nachvollziehen.

Der japanische Autor Fuminori Nakamura hat mit seinem düsteren und spannenden Roman Die Maske etwas geschafft, was schon länger kein mir vorher unbekannter Autor erreicht hat: er hat mich umgehauen, er hat mich mit seinem Sog und seiner dichten Atmosphäre mitgerissen und er hat mich wahnsinnig neugierig auf den Mann gemacht, der dieses Buch geschrieben hat. Ich möchte nun unbedingt auch Nakamuras anderen Roman, Der Dieb, lesen und hoffe, dass ganz bald weitere seiner Werke ins Deutsche übersetzt werden.

Informationen zu Fuminori Nakamura und seinen Werken findet ihr auf der Seite des Diogenes-Verlags.

Weitere Besprechungen gibt es unter anderem auf aus.gelesen und Am Meer ist es wärmer.

*Update: Übersetzer Thomas Eggenberg hat uns übrigens verraten, dass das Buch eigentlich schon letztes Jahr erscheinen sollte, die Übersetzung dann aber doch ein wenig länger gedauert hat. Vielleicht bin ich wohl einfach zu ungeduldig bei talentierten Autoren (und ihren großartigen Übersetzern)… ;)

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