James Baldwin – Von dieser Welt

James Baldwin von dieser Welt Rezension

Lange war die deutsche Fassung von James Baldwins Klassiker Go tell it on the Mountain vergriffen. Jetzt ist der zeitlose Klassiker endlich wieder unter dem Titel Von dieser Welt verfügbar und hat nichts von seiner Sprachmächtigkeit und Aktualität eingebüßt.

Mit der Neuübersetzung seines ersten Werks Go tell it on the Mountain ist nun der Debütroman von James Baldwin auch wieder auf Deutsch erhältlich. Das Buch wurde 1953 erstmals publiziert. Der Autor James Baldwin verstarb im Jahr 1987 und ist heute sowohl für seine Romane und Essays, als auch seinen lebenslangen Kampf für die Gleichberechtigung aller Menschen bekannt. Weitere Übersetzungen seines Werks sollen folgen.

Der Roman erzählt die stark autobiographisch geprägte Geschichte des jungen John Grimes, der in den dreißiger Jahren in Harlem aufwächst. Als Leser erleben wir den Tag seines vierzehnten Geburtstags. Er wächst als Stiefsohn eines Baptisten-Predigers auf und bereits der erste Satz macht klar, dass John in die Fußstapfen seines Vaters treten soll. Zum Geburtstag erhält er von seiner Mutter etwas Geld, das er für einen Kinobesuch ausgibt – aus Sicht seines Vaters eine schwere Sünde. John hat seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden, er ist orientierungslos und nach dem strengen religiösen Verständnis des Vaters sind der Glaube und die Kirche der einzige Ausweg. Der Vater, Gabriel Grimes, stammt aus den Südstaaten und ist eine Art Gegenfigur zu John. Denn eigentlich will John selbst über sein Leben bestimmen, es nicht in die Hände Gottes legen. Doch die Welt steht ihm nicht freundlich gegenüber. Es ist die Welt der weißen Bevölkerung, die in ihm nur einen ‚Nigger‘ sieht, der nicht dieselben Rechte hat und die ihm keinen Platz in der Gesellschaft geben will.

Sein Vater war der Diener Gottes, der Bote des himmlischen Königs, und John konnte sich nicht vor dem Thron der Gnade verneigen, ohne erst vor seinem Vater zu knien. Von seiner Weigerung, dies zu tun, hing sein Leben ab, und insgeheim war Johns Herz in seiner Verstocktheit gediehen bis zu dem Tag, da ihn die Sünde einholte.

Um seinen Roman zu schreiben, zog sich James Baldwin in ein kleines Dorf in der Schweiz zurück; nur hier, in der Abgeschiedenheit und weit weg von seiner Heimat, konnte er die richtigen Worte finden. In Harlem fand er nicht die Worte, die seinen Kampf mit dem Stiefvater, der Religion und seiner sich entwickelnden Sexualität richtig zum Ausdruck bringen konnten. Darin spiegeln sich die auch die markanten Themen des Romans: Religion und Glaube, Sexualität und Familienerbe. Und obwohl das Buch eigentlich nur einen Tag umfasst, zeigt es neben Johns Geschichte auch das Leben seiner Familie. Alle Figuren werden sowohl mit ihren negativen als auch ihren positiven Eigenschaften gezeigt. Baldwin dringt tief in ihr Leben und ihre Gedanken ein, zeigt ihre Verletzungen, ihre tiefsten Gefühle und die Ereignisse, die sie zu den Menschen gemacht haben, die sie nun sind.

In der Kirche, wo die Messe ekstatisch gefeiert wird, erleben wir drei Gebete. Die Gebete von Johns Mutter, seinem Stiefvater und seiner Tante. Schonungslos wird ihr gesamtes Leben ausgebreitet, all ihre Träume, Hoffnungen, Sünden und Fehler. Auch der Vater, der in der Religiosität den einzigen Ausweg sieht, ist alles andere als frei von den Sünden, die er so gerne den anderen vorhält. Ihre Gebete zeugen von ihrer Hilfslosigkeit gegenüber den Verhältnissen, die von den Weißen bestimmt werden. Hier wird in jedem Satz deutlich, wie sehr sie unter der Fremdbestimmung und dem Rassismus leiden, die ihnen in grausamer Gleichgültigkeit begegnen und denen John um jeden Preis entfliehen will. John will auf keinen Fall so werden wie der Vater, der auf Hass nur mit Hass antworten kann. In John kann er auch nur das sehen, was die Weißen in ihm sehen: einen Wilden, einen Afrikaner und einen Teufel. Eine Spirale, in der Hass immer nur weiteren Hass erzeugt. Baldwin vertrat immer die Ansicht, dass der Kern des Problems, was das Verhältnis von Schwarzen und Weißen betrifft, nicht bei den Schwarzen zu suchen ist. Dagegen seien sich die Weißen ihrer Verbrechen bewusst, würden sie aber abstreiten, aus Angst vor Rache. Das Problem war für ihn die Weigerung, Verantwortung zu übernehmen. Baldwin hat die bekannten Sätze geprägt: „I am not a nigger. I am a man.“

Im Roman finden sich zahlreiche Bezüge zur Bibel und Kirchenliedern. Gerade im letzten Teil des Buches, einer Erweckungsversammlung, spielt die Sprache auch mit biblischen Metaphern. Mit all seiner Sprachmacht zeigt der Roman aber nicht nur die Vorgänge in der Kirche, sondern auch Alltagsrassismus, das Seelenleben seiner Figuren und die Familienstreitigkeiten. Aus jeder Zeile scheint der Wunsch nach Freiheit und Gerechtigkeit zu schreien. Es ist ein unheimlich intensiver und rhythmischer Stil, der von starken Metaphern geprägt ist.

Es war das Geräusch von Wut und Klage im Grab, Wut und Klage, entfesselt vor langer Zeit, doch nun gebunden in Ewigkeit; Wut, die keine Sprache hatte, Klage ohne Stimme – die jetzt dennoch zu Johns erstaunter Seele sprach, von endloser Wehmut, von bitterster Geduld und der längsten Nacht, von tiefsten Wassern, den stärksten Ketten, der grausamsten Peitsche; von erbärmlichster Demut, unentrinnbarstem Kerker, von besudelten Liebeslager, von schändlicher Geburt und blutigstem, unaussprechlichem jähem Tod.

Von dieser Welt hat auch Jahrzehnte nach seiner Veröffentlichung nichts an Intensität und Aktualität eingebüßt. Mit jeder Zeile wird der Leser tiefer in diese Welt der Dreißigerjahre mit ihrem Rassismus und der Religiosität hineingezogen, in der für Gabriel der Glaube der einzige Ausweg ist. Ein Buch, das vermutlich jeder, der sich auch nur ansatzweise für die Thematiken interessiert, einmal gelesen haben sollte.

Im Jahr 2016 erschien der Dokumentarfilm I am Not Your Negro, der unter anderem auf dem unvollendeten Manuskript Remember This House von James Baldwin basiert und sich mit dem Leben und Werk des Autors auseinandersetzt. Das Manuskript wird von Samuel L. Jackson gesprochen.

 

7 Kommentare

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  1. dj7o9

    „Go tell it to the Mountain“ hab ich auch noch auf meinem Wunschzettel stehen und deine Besprechung macht gerade so viel Lust und die deutsche Ausgabe ist auch so schön, dass ich gerade wirklich überlege, ob ich sie mir nicht vielleicht in der Übersetzung kaufen soll. Hmmm – ich lasse das noch mal marinieren. James Baldwin ist auf jeden Fall ein ganz großartiger wichtiger Autor. Freue mich sehr, dass er nicht in Vergessenheit gerät. Ganz liebe Grüße :)

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    • letusreadsomebooks

      Die Ausgabe ist wirklich sehr gelungen. Auch das Vorwort von Verena Lueken ist lesenswert. Ich hoffe sehr, dass wirklich weitere Romane/Essays neu übersetzt werden, James Baldwin sollte auf keinen Fall in Vergessenheit geraten.
      Liebe Grüße
      Alex

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  2. fraujvont

    Ein wichtiges Buch, was, wie ich finde, nicht einfach zu lesen ist. Das Vorwort hat mich tief berührt und beeindruckt. Eine tolle Rezension 😊 Liebe Grüße

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  3. Monatsrückblick: Unsere Bücher im März – Letusredsomebooks

    […] Das bereits in den 50er-Jahren erschienene Buch liegt nun in einer Neuübersetzung vor. Von dieser Welt ist alles andere als leichte Lektüre. In dem stark autobiografischen Buch voller Sprachkraft verfolgt der Leser den jungen John Grimes an seinem vierzehnten Geburtstag. In einer von Rassismus geprägten Gesellschaft sieht sein Vater in dem Glauben den einzigen Ausweg, doch John widersetzt sich und möchte selbstbestimmt leben. Sowohl sprachlich als auch inhaltlich absolut gelungen. Ein Buch, das vielleicht jeder einmal gelesen haben sollte. Die komplette Rezension findet hier. […]

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