Viet Thanh Nguyen – Der Sympathisant

Der Sympathisant

Der Sympathisant von Viet Thanh Nguyen ist ein Politthriller über den Vietnamkrieg und seine Folgen und wurde 2016 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.

Im April des Jahres 1975 wird eine Gruppe von südvietnamesischen Offizieren in letzter Sekunde aus Saigon ausgeflogen und in die USA gebracht. Unter ihnen befindet sich auch ein als Adjutant getarnter Spion des Nordens. Seine Aufgabe ist es, in Los Angeles den Gegner weiterhin zu beobachten. In den USA angekommen, ringt er jedoch immer mehr mit seinem Doppelleben, seinem Dasein als Spion, der westlichen Konsumgesellschaft und seiner eigenen Identität.

Als 1975 Saigon von der NLF, der „Nationalen Front zur Befreiung Südvietnams“, erobert wurde, ist Viet Thanh Nguyen, der Autor von Der Sympathisant, vier Jahre alt. Gemeinsam mit seinen Eltern und seinem älteren Bruder floh er auf die Pazifikinsel Guam. Von dort ging es weiter nach San José, wo die Eltern einen Lebensmittelladen eröffneten und Viet Thanh die Hollywood-Filme über den Vietnamkrieg sehen konnte. Eigentlich heißt es, dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird. Auf den Vietnamkrieg trifft das sicherlich nicht zu.

Hollywoods Hohepriester hatten instinktiv die Erkenntnis von Miltons Satan erfasst, wonach es besser sei, in der Hölle zu herrschen, als im Himmel zu dienen, und man besser der Schurke, Verlierer oder Antiheld im grellen Rampenlicht sei als der tugendhafte Komparse. In dem kommenden Trompe-l’oeil würden alle Vietnamesen, gleich welcher Gesinnung, schlecht dastehen, gepfercht in die Rollen der Armen, der Unschuldigen, der Bösen oder der Korrupten. Unser Schicksal war nicht, einfach zu schweigen. Wir würden zum Schweigen gebracht werden.

Erzählt wird Der Sympathisant von einem namenlosen kommunistischen Spion. Er ist Adjutant eines hochrangigen Generals, ausgebildet in Verhörmethoden und findet sich nun im amerikanischen Exil wieder. Der Spion schreibt seine eigene Geschichte, seine Bekenntnisse. Warum und wo genau wird im letzten Teil des Buches enthüllt. Im Exil soll er für die Kommunisten die Geflohenen infiltrieren und über ihre Pläne berichten. Gleichzeitig verlangt der General von ihm, dass er in den USA Spione aus dem Vietnam aufspüren soll. So sitzt der Erzähler zwischen den Stühlen. Er trinkt zu viel und entwickelt zwei Seelen für zwei Auftraggeber. Dabei reflektiert er die amerikanische Konsumgesellschaft, Unterschiede zwischen Ost und West, Politik und Identität.

Ein Thema, das der Roman immer wieder aufgreift, ist die mediale Vermittlung des Krieges und den Kampf um die Deutungshoheit der Ereignisse. So kommt der Erzähler als „Authentizitäts-Berater“ an ein Filmset, um einen Regisseur bezüglich der vietnamesischen Rollen zu beraten. Eine Passage, die sich wie die Demontage des Films „Apocalypse Now“ liest. Das Unternehmen hat deutliche groteske und satirische Züge und ist von Beginn an zum Scheitern verurteilt, auch wenn der Erzähler sich mehrmals mit dem „Auteur“ überwirft.

Ein großes Kunstwerk ist so wirklich wie die Wirklichkeit selbst und manchmal sogar wirklicher als das Wirkliche. Lange nachdem dieser Krieg vergessen sein wird, wenn er in Schulbüchern nur noch einen Absatz einnimmt, den jeder Student überspringt, und alle Überlebenden tot, die Körper zu Staub, die Erinnerungen zu Atomen zerfallen sind und ihre Leiden keine Leidenschaft mehr hervorrufen, dann wird dieses Kunstwerk noch hell strahlen und nicht nur vom Krieg erzählen, sondern der Krieg selbst sein.

Eine der größten Stärken dieses herausragenden Romans ist für mich, wie spielend einfach es dem Autor gelingt, politische Themen und Diskurse in die Handlung einzubauen, ohne dass es unpassend erscheint oder überladen wirkt. Wie selbstverständlich bringt der Erzähler seine Thesen vor, dabei stören sie in keiner Weise die eigentliche Erzählung. Ungefähr zeitgleich mit dem Roman ist ebenso ein Essayband des Autors mit dem Titel Nothing Ever Dies. Vietnam and the Memory of War erschienen, in dem er einiges aus dem Roman weiter in Essays ausführt. Aber ebenso gelungen sind die Passagen, in denen es um das Leben in Amerika nach dem Krieg geht, im Land der Verlierer, das aber dennoch weiter Einfluss nehmen will. Der Spion berichtet von den Folgen für die Gesellschaft, die Probleme für die Flüchtlinge sich zu integrieren, Arbeit zu finden und sich ein neues Leben aufzubauen. Damit verbunden sind die Suche und das Formen einer neuen Identität im Exil. Es geht nicht nur um den Vietnamkrieg, sondern auch um andere Kriege, in welche sich die USA eingemischt haben und sich dabei als oberste Instanz verhalten, die alleine entscheidet, wer gut und wer böse ist.

Stilistisch verwendet der Autor eine bildreiche Sprache, voller Metaphern. Dabei gelingt es ihm, trotz des harten Themas einen satirischen Unterton zu treffen, der dem Erzählten entspricht. Der Krieg ist eines der Hauptthemen des Romans und vor allem die letzten hundert Seiten sind bei der Beschreibung von Foltermethoden, sowohl psychischen als auch physischen, sehr detailliert und heftig.

Geschrieben ist der Roman eindeutig aus der vietnamesischen Perspektive, dabei macht es sich Viet Thanh Nguyen aber nicht einfach, indem er einfach nur das Freund-Feind Schema umdreht. Die Figur des Doppelagenten erlaubt es, beide Seiten darzustellen und die widersprüchlichen Motive des Spions zu beleuchten und so dem (westlichen) Leser auch eine neue Perspektive auf den Krieg zu eröffnen. Was ‚hier‘ immer selbstverständlich  als „Vietnamkrieg“ bezeichnet wird, heißt im Vietnam „Amerikanischer-Krieg“. In einem Interview spricht der Autor davon, dass bei der Erinnerung an einen Konflikt das Bewusstsein dazugehören muss, dass beide Seiten Opfer zu beklagen haben und sich gleichzeitig jede Seite schuldig gemacht habe.

Wir seiften uns also ein mit Tristesse und duschten uns ab mit Hoffnung, und obwohl wir fast jedem Gerücht glaubten, das uns zu Ohren kam, weigerte sich fast jeder von uns zu glauben, dass unsere Nation untergegangen war.

Mit Der Sympathisant hat Viet Thanh Nguyen einen Roman geschaffen, der sowohl sprachlich als auch inhaltlich anspruchsvoll ist und gleichzeitig voller Spannung. Bewundernswert ist die Fähigkeit des Autors, politische Diskussionen und Thesen in die Handlung einzubauen. Wer schon immer einen Roman lesen wollte, der die Perspektive auf den Vietnamkrieg umdreht, wird hier fündig. Der Sympathisant ist ein außergewöhnliches Werk der Literatur.

7 Kommentare

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  1. -Leselust Bücherblog-

    Wow, was für eine großartige Buchbesprechung. Man merkt, dass du dich sehr mit diesem Roman auseinandergesetzt hast und stellt deine Meinung ausführlich und differenziert das. Auch die eingebauten Zitate haben mir sehr gut gefallen. Dadurch konnte ich einen kleinen Einblick in den Schreibstil bekommen.
    Das Thema interessiert mich sehr. Ich lese generell gerne Bücher, bei deren Lektüre ich etwas lernen kann. Über den Vietnamkrieg weiß ich wenig und bin daher gespannt auf diesen Roman. Du hast geschrieben, das Buch sei „inhaltlich und sprachlich anspruchsvoll“. Muss mich das abschrecken, oder lässt es sich trotzdem gut lesen? Danke schon mal für den Buchtipp und die tolle Vorstellung.
    Liebe Grüße, Julia

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