Amélie Nothomb – Der japanische Verlobte

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Amélie Nothomb erzählt mit viel Witz und Ironie aber auch der nötigen Ernsthaftigkeit über ihre Zeit in Japan und ihre Beziehung zu ihrem ersten und einzigen Sprachschüler. Der japanische Verlobte ist eine absolute Leseempfehlung!

Mit Anfang zwanzig kehrt Amélie nach Japan zurück, um die Sprache wieder besser zu lernen. Der einfachste Weg für sie scheint es zu sein, Französisch zu unterrichten. Ihr erster Schüler ist Rinri, der aus einer reichen Tokioter Familie stammt und der Amélie in die Sitten des Landes einführt. Auf sprachlicher Ebene gibt es aber zunächst Probleme. Doch Rinri ist hoch motiviert, vor allem, da ihm seine Lehrerin gefällt.

Mit 21-Jahren beschließt Amélie von Belgien nach Japan zu ziehen, mit dem Ziel, dort eine Stelle in einem großen Unternehmen anzutreten. Die Erlebnisse, die sie dort machte, schilderte sie in ihrem Roman Mit Staunen und Zittern. Auch ihr Roman Der japanische Verlobte ist wieder stark autobiographisch und beschäftigt sich mit ihrer Zeit in Japan, erzählt allerdings von anderen Begebenheiten. Zu Beginn lernt sie ihren ersten Französischschüler kennen, dessen Französisch ihr wie ein schlechtes Chinesisch erscheint. Später findet sie heraus, dass in Japan dem Lehrer keine Fragen gestellt werden, weshalb sich der Sprachunterricht schwierig gestaltet.

Seine Ausführungen schienen ihn so mitgenommen zu haben, als hätte er über eine Furt mit Trittsteinen in fünf Meter Abstand einen reißenden Fluss durchqueren müssen. Ich fand es komisch, ihn nach dieser Großtat stöhnen zu hören. Man muss aber zugeben, dass das Französische tückisch ist. Ich hätte nicht mit meinem Schüler tauschen mögen. Meine Sprache sprechen zu lernen war bestimmt ebenso schwer, wie seine schreiben zu lernen.

Die kulturelle Fremdheit zeigt sich bereits auf den ersten Seiten. Das Gespräch mit Rinri gestaltet sich äußerst schwierig und ist kaum als Unterricht zu bezeichnen. Vor allem auf dem Hintergrund, dass Rinri eigentlich Französisch studiert. Er bleibt auch Amélies einziger Schüler und ist ihr zukünftiger Freund. Wie ernst er den Unterricht nimmt, zeigt sich immer am Ende der Stunde, wenn er ihr mit großer Geste einen Umschlag aus Reispapier übergibt, in dem sich ihr Honorar befindet. Problem bleibt aber die sprachliche Verständigung. Amélie benötigt die Hilfe einer von ihr verabscheuten Amerikanerin, um zu verstehen, dass Rinris Lieblingsbeschäftigung „spielen“ – im Japanischen „asobu“ – einfach mit „nicht arbeiten“ übersetzt wird. Bis dahin fragt sie sich die ganze Zeit, was Rinri denn spielt. Unangenehm ist ihr auch, dass Rinri sie seinen Freunden traditionell als „Meisterin“ vorstellt, da sie seine Lehrerin ist.

Amélie Nothomb schreibt über ihre Zeit in Japan voller Ironie und schafft es gleichzeitig immer, den Respekt vor den für sie fremdem Sitten zu bewahren. Dabei gelingen ihr urkomische Szenen, wenn etwa die Großeltern auftauchen und die ganze Zeit trotz der in Japan ungemein wichtigen Höflichkeitsregeln lachen und von Rinri damit entschuldigt werden, sie seien schon alt. Ein ganzes Leben lang mussten sie sich an die strengen gesellschaftlichen Regeln halten, da kann es schon mal vorkommen, dass die Menschen sich im Alter ungewöhnliche Verhaltensweisen zulegen. Auch die Dialoge zwischen Amélie und Rinri sind häufig komisch und zum Schmunzeln:

„Kennst du viele japanisch-lateinische Ausdrücke?“ fragte ich ironisch.
„Wenn Christus heute wiederkäme, würde er sich nicht damit begnügen, nur eine einzige Sprache zu sprechen.“
„Ja, aber spräche nicht Latein.“
„Warum nicht? Er würde die Epochen mischen.“
„Und du findest, er ist ein rônin?
„Unbedingt. Vor allem, weil er am Kreuz sagt: ‚Warum hast du mich verlassen?‘ Der Satz ist eines herrenlosen Samurai würdig.“
„Du kennst dich ja aus. Hast du die Bibel gelesen?“
„Nein. Das stand in dem Buch Wie werde ich Tempelritter?
Da hatte ich ja einen Volltreffer gelandet.
„Es gibt ein japanisches Buch mit diesem Titel?“
„Ja. Du hast mir die Augen geöffnet. Ich bin der Samurai Jesus.“
„Und inwiefern ähnelst du Christus?
„Das werden wir schon sehen. Ich bin ja erst einundzwanzig.“
Dieser Schluss, der alle Möglichkeiten offenließ, gefiel mir außerordentlich.

Nothomb schreibt aber nicht über ihre zwischenmenschlichen Erfahrungen, sondern auch viel über sich selbst und die Erfahrungen, die sie in dieser Zeit gemacht hat. Das kommt vor allem in den Szenen heraus, in denen sie wandern geht und plötzlich von einem Unwetter überrascht wird, bei der gemeinsamen Besteigung des Fujis, während der sie sich als wahre Japanerin erweist. Aber vor allem auch in den reflektierenden Passagen über ihre Beziehung zu Rinri. Für das, was sie für ihn empfindet, gibt es in europäischen Sprachen keine genaue Übersetzung. Sie beschreibt es als freundschaftliche Liebe, was sie nur mit dem japanischen Ausdruck koi, benennen kann. In diesen Abschnitten zeigt sich die Autorin sehr offen und gesteht sich auch ihre eigenen Fehler ein und beschreibt sich selbst ebenfalls mit viel Selbstironie.

Der japanische Verlobte ist der erste Roman, den ich von Amélie Nothomb gelesen habe und es wird mit Sicherheit nicht der letzte sein. Ihre leichte Art zu schreiben, sowie ihre Ironie und ihr Witz, mit denen sie sich selbst und ihre Erfahrungen beschreibt, haben mir sehr gut gefallen. Aber auch die ernsteren Passagen, in denen sie ihr Leben, ihre Beziehungen und die Erfahrungen in dem fremden Land reflektiert und beschreibt, scheinbar mühelos gelingen, ohne das ein Bruch im Erzählton entsteht. Eine ganz klare Leseempfehlung!

Freiheit ist so ein abgedroschenes Thema, dass es mich schon bei den ersten Worten zum Gähnen bringt. Die Körperliche Erfahrung der Freiheit ist etwas ganz anderes. Es müsste etwas geben, vor dem man fliehen muss, um diese großartige Empfindung zu kultivieren. Übrigens findet man auch immer etwas, vor dem man fliehen muss. Zur Not sich selbst.

Da ist es gut zu wissen, dass man sich selbst entkommen kann. Dass es möglich ist, aus dem kleinen Gefängnis, das die Sesshaftigkeit überall errichtet, zu verschwinden. Man nimmt seine Siebensachen und geht. Und das Ich ist davon so verblüfft, dass es vergisst, den Gefängniswärter zu spielen. Man kann sich selbst abhängen, wie man Verfolger abhängt.

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