Emily St. John Mandel – Das Licht der letzten Tage

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Die Apokalypse von Zivilisation und Kultur

Eines Abends stirbt der bekannte Schauspieler Arthur Leander mitten im 4. Akt von König Lear. Doch dies soll ein einschneidender Moment für die gesamte Menschheit sein. Kurz danach breitet sich die Georgische Grippe rasant aus und löscht fast jegliches Leben auf der Erde aus. Zwanzig Jahre später reist die fahrende Symphonie durch das Land, auf der Suche nach verlorenen Freunden und mit dem Ziel, die wenigen verbliebenen Menschen durch Musik und Theater zu erfreuen. Durch Rückblenden erzählt die Autorin parallel von der alten und der neuen Welt.

Die Geschichte um Clark, Arthur und dessen Exfrauen erinnerte mich von der Atmosphäre her irgendwie an Tom Rachmans Die Unperfekten – auf eine sehr positive Art. Wir erfahren vom Leben, Lieben und Leiden der Charaktere in der alten Welt, von ihrem Erfolg und ihrem Scheitern. Von Problemen, die wir alle als Probleme bezeichnen würden, die allerdings im starken Kontrast zu der Geschichte stehen, die in der neuen Welt spielt. Denn was sind schon kaputte Beziehungen und ätzende Jobs im Gegensatz zum harten, unerbittlichen Kampf ums Überleben?

Meiner Meinung nach gibt es drei Dinge, durch die sich Das Licht der Letzten Tage sehr deutlich vom Einheitsbrei der boomenden postapokalyptischen Romane abhebt.

Erstens: Keine Liebesgeschichte. Großen Dank an dieser Stelle an die Autorin. Es hätte mir das ganze Leseerlebnis ruiniert, wenn am Ende zwei Menschen zusammengefunden hätten und ein tolles postapokalyptisches Happy End erleben dürften.

Zweitens: Der Schreibstil. St. John Mandel gelingt es durch ihre Wortwahl perfekt, die Schönheit der alten Welt, aber auch den Zauber der „untergegangenen“, menschenleeren, wilden Welt festzuhalten.

Ein Schwall kräftiger Farben, Rosa und Streifen von Knallorange, und die Containerschiffe am Horizont schienen zwischen den feurig flirrenden Farben des Himmels und dem lodernden Wasser zu schweben, die ganze See zerfloss in wirre Visionen von Station Eleven, mit der verschwenderischen Pracht seiner Sonnenaufgänge und seinem indigoblauen Ozean. Die Lichter der Flotte verblichen ins Morgenlicht, das Meer brannte in den Himmel.

Drittens: Der Fokus des Romans. Im Gegensatz zu den gängigen Postapokalypsen liegt dieser nämlich nicht auf dem Überleben. Klar, darum geht es auch, vernachlässigen kann man diesen Aspekt natürlich nicht in diesem Genre. Primär geht es jedoch um den Zusammenbruch der Zivilisation, den Zerfall der Kultur und das Vergessen der Geschichte. Mir persönlich hat das Buch die Schönheit und den Komfort unserer Welt vor Augen geführt. Wir sterben nicht an einer einfachen Erkältung oder einer Wundinfektion. Wir können innerhalb von Stunden tausende Kilometer zurücklegen. Es gibt keine räumlichen Grenzen für uns. Wir bekommen mit, was auf der ganzen Welt geschieht und müssen dafür nur kurz den Fernseher oder den Computer einschalten. St. John Mandel nennt dies die alltäglichen, „für selbstverständlich gehaltenen Wunder“. Und dieser müssen wir uns bewusst werden.

Keine gewöhnliche Postapokalypse

Obwohl ich kein großer Fan von postapokalyptischen Szenarien bin, wollte ich unbedingt Emily St. John Mandels Roman Das Licht der letzten Tage lesen – weil es eben nicht so genretypisch sein sollte. Und das stellte sich als richtig heraus. Statt um Zombies oder wilde Kannibalen geht es vor allem darum, wie das Leben ohne Technik, Kultur, Komfort und Erinnerungen an die Vergangenheit aussieht. Als Leser betrachtet man seine eigene Situation mit neuen Augen und weiß sein eigenes Glück doch ein bisschen besser zu schätzen als zuvor.

 

4,5sterne

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